„Psychotherapie in Krisenzeiten“ – Rückblick auf den 18. Jahreskongress Psychotherapie Wissenschaft Praxis

Am 22. und 23. Oktober fand der inzwischen achtzehnte gemeinsam von dem Hochschulverbund Psychotherapie NRW und der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen veranstaltete Jahreskongress Psychotherapie Wissenschaft Praxis statt – auch in diesem Jahr online. Am ersten Kongressvormittag standen in drei Live-Impulsreferaten Aspekte der „Psychotherapie in Krisenzeiten“ im Mittelpunkt. Im Anschluss daran bot das Programm an zwei Veranstaltungstagen rund 70 praxisorientierte Workshops zu Aspekten der psychotherapeutischen Arbeit mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen. An die 300 Kongressbesucherinnen und -besucher hatten sich den Vorträgen mit interaktiver Austauschmöglichkeit zugeschaltet und Seminare gebucht.

Dr. André Wannemüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitseinheit Klinische Psychologie der Fakultät Psychologie der Ruhr-Universität Bochum, hieß die Teilnehmenden willkommen und führte durch das Eröffnungsprogramm. Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, betonte in seiner Begrüßung, dass in der aktuell schwierigen Zeit vielfach der Wunsch nach einfachen Lösungen geäußert werde. Immer wieder werde gefragt, was die oder der Einzelne tun solle. Doch solche individuelle, „kleine Lösungen“ gäbe es nicht, betonte der Kammerpräsident. Entscheidend sei die gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung. Dies gelte es, immer wieder herauszustellen. PD Dr. Tobias Teismann aus der Kongress-Planungsgruppe dankte in seinen einleitenden Worten der Kammer für die gute Zusammenarbeit und dem Organisationsteam für die Vorbereitung der Fachveranstaltung. Den Hauptvortragenden und Workshop-Leitungen sprach er Dank für ihre Mitwirkung an dem umfangreichen Programm aus.

Psychotherapie in Krisenzeiten

Prof. Dr. Jürgen Margraf, Dekan der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität-Bochum, wies in seinem Vortrag „Zwischen Bewältigung und Überwältigung: Psychotherapie in Krisenzeiten“ darauf hin, dass aktuell häufig die Rede davon sei, in einer „nicht normalen Zeit“ zu leben. Krisen und Kriege habe es jedoch immer gegeben und mit Beginn des Ukrainekrieges sei man daher nicht in einer „anderen Welt“ aufgewacht. Dies zu akzeptieren, falle vielen schwer. 

Der Psychologische Psychotherapeut erklärte, dass die Art und Weise, wie Menschen auf Krisensituationen reagieren, in ihrer Entwicklungsgeschichte begründet liege, stark über die soziökonomische Ebene vermittelt werde und gesellschaftlich beeinflusst sei. Dies zeige sich z. B. deutlich in den Ergebnissen vergleichender Forschungen zur Verarbeitung der Corona-Krise in acht Ländern. An deren Beispiel beschrieb Prof. Dr. Jürgen Margraf, dass die mit dem Erleben einer Krise einhergehenden langfristigen psychischen Folgen stark davon abhängen würden, wie man die Krisenzeit im Nachhinein erinnere: als kollektive Bewältigungserfahrung und gemeinsames Erfolgserlebnis oder als Misserfolgserlebnis mit Betonung von gesellschaftlichen Unterschieden und negativen Erfahrungen. 

Um die Fähigkeit zum Umgang mit Krisen zu stärken, müsse man die Prädiktoren für psychische Gesundheit in den Blick nehmen. Insbesondere gelte es, das Gefühl von Kontrolle, aktiver Bewältigung und Verbundenheit mit anderen zu stärken. Auch eine gesunde Lebensweise spiele eine große Rolle. Die Nutzung sozialer Medien hingegen beeinflusse die psychische Gesundheit negativ. Die förderlichen Faktoren zu kennen, reiche nicht aus, um von ihnen zu profitieren. Entscheidend sei, sie umzusetzen. Das menschliche Verhalten werde insbesondere von kurzfristigen, deterministischen Folgen bestimmt. Daher sei gerade in Krisenzeiten zu empfehlen, sich regelmäßig und bewusst mindestens eine spontane oder geplante positive Aktivität am Tag zu gönnen. Abschließend bezeichnete Prof. Dr. Jürgen Margraf die aktuellen Krisen als eine Entwicklungsaufgabe für alle, der wir als „Meister unseres Schicksals“ begegnen sollten.

Psychologie in der Klimakrise

M.Sc. Katharina van Bronswijk, Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis, referierte als Vertreterin der Psychologists/Psychotherapists for Future „Zur Rolle der Psychologie in der Klimakrise". Wie andere Umgebungsfaktoren beeinflusse auch der Klimawandel die psychische Gesundheit. Möglich sei ein Spektrum an Reaktionen, darunter Gefühle wie Schuld, Scham und Angst. Um psychischen Stress im Kontext der Klimakrise handhaben zu können, sei eine Balance zwischen Vermeidung und Hineinsteigern anzustreben, hielt die Psychotherapeutin fest. Wichtig sei, Verantwortung zu übernehmen und darauf hinzuwirken, dass keine weiteren Kipp-Punkte im Klimasystem aktiviert werden. Auf der individuellen Ebene sei in diesem Zusammenhang die Frage „Wer will ich in der Krise gewesen sein?“ eine hilfreiche Leitlinie. 

Hinsichtlich der Überlegung, wie die Gesellschaft krisenfest werden könne, unterstrich Katharina van Bronswijk die Bedeutung von adaptiver und transformativer bzw. individueller und kollektiver Resilienz. Letztere ließe sich unter anderem stärken, indem Versorgungsstrukturen und -angebote auf den klimawandelbedingten Bedarf ausgerichtet würden. Beispielsweise sollte die Psychotherapie-Bedarfsplanung in Reaktion auf Extremwetterereignisse angepasst werden. Auch gezielte Unterstützung für besonders vulnerable Gruppen sei wesentlich. Den Berufsstand sehe sie in der Verantwortung, sich aktiv einzubringen – beispielsweise über eine nachhaltige Praxisgestaltung, mit Informationen über den Einfluss der Klimakrise auf die psychische Gesundheit und die Mitarbeit in Initiativen zum Klimaschutz. Berufspolitisch sei die Profession gefordert, das Thema Klima und Psyche in den allgemeinen Diskurs einzubringen und weiterhin über Gremien wie den Deutschen Psychotherapeutentag Signale an die Politik zu senden. So könne es möglich werden, einen nicht umkehrbaren positiven Wandel in Bezug auf die Klimapolitik zu erreichen und gesellschaftlich zu einer Rekonstruktion mit den notwendigen neuen Mindsets zu gelangen.

Behandlung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen mit Traumafolgestörungen

Prof. Dr. Rita Rosner, Professorin für Klinische und Biologische Psychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt widmete ihren Vortrag der „Behandlung posttraumatischer Symptome bei Kindern und Jugendlichen nach Fluchterfahrungen". Einführend erläuterte sie mit Krieg, Flucht und Vertreibung assoziierte Traumafolgestörungen, Risiko- und Schutzfaktoren sowie die Diagnostik von Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. In ihrer Darstellung eines vierstufigen Versorgungsansatzes wies sie darauf hin, dass der Berufsstand sein Engagement auf die Ebene der klinischen Angebote fokussieren sollte. 

Ausführlich beschrieb die Psychologische Psychotherapeutin, die seit dem Jugoslawienkrieg mit betroffenen Kindern und Jugendlichen arbeitet, das Manual und den Ablauf der traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie (TF-KVT) zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen und komorbiden Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Neben posttraumatischen Stresssymptomen verbessere das Programm nachweislich unter anderem Depressionen und Angstzustände. Als zentrale Elemente des Manuals stellte Prof. Dr. Rita Rosner Übungen und Informationen zur Psychoedukation, hilfreicher kognitiver Verarbeitung und der Arbeit mit Traumanarrativen vor.

Ernste Themen, positive Impulse

Alle drei Vortragenden betonten in ihren Ausführungen über die fachlichen Informationen hinaus die Notwendigkeit, gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Im Anschluss nutzten die Teilnehmenden die Gelegenheit, in einer Plenumsdiskussion weiterführende Fragen an die Vortragenden zu richten und Aspekte der Vorträge zu vertiefen. Insgesamt kennzeichnete den 18. Jahreskongress Psychotherapie Wissenschaft Praxis trotz des großen Bewusstseins für die ernste Lage eine positive Grundstimmung, die auch im Online-Format spürbar wurde.

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