Rückblick auf das Symposium „Mut zur Psychotherapie im Alter – Perspektiven, Herausforderungen, Chancen“ am 17. April 2024

Das Symposium  „Mut zur Psychotherapie im Alter – Perspektiven, Herausforderungen, Chancen“ der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen am 17. April 2024 rückte eine Vielzahl von Aspekten der Alterspsychotherapie in den Fokus. Drei Fachvorträge befassten sich zum einen mit Besonderheiten und Problemstellungen, die ältere Menschen häufig mit in die Therapie bringen. Zum anderen wurden Möglichkeiten psychotherapeutischer Interventionen in der Arbeit mit Menschen im höheren Lebensalter dargestellt. Dabei wurden verhaltenstherapeutische, psychodynamische und systemische Behandlungsansätze beleuchtet. In die Diskussion der Vorträge und in eine lebhafte Podiumsdiskussion brachten die Teilnehmenden Fragen, Anregungen und eigene Erfahrungen aus der Behandlung von Patientinnen und Patienten im höheren Lebensalter ein.

Die hybrid durchgeführte Veranstaltung wurde federführend vom Ausschuss „Psychotherapie in der ambulanten Versorgung“ der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen geplant, konzipiert und ausgerichtet. Die Moderation übernahmen Britta Hollenbeck, Vorsitzende im Ausschuss, und die Ausschussmitglieder Claudia Melcher und Hildegard Mergel-Hölz. Rund 40 Interessierte waren der Einladung in die Geschäftsstelle der Kammer gefolgt, fast 250 beteiligten sich online.

Vorurteile abbauen, Psychotherapie mit Älteren stärken

Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, eröffnete per Video zugeschaltet das Symposium und begrüßte die Referierenden und die Teilnehmenden. Britta Hollenbeck stellte einführend heraus, dass psychische Störungen im Alter häufig seien. Der Anteil älterer Menschen in psychotherapeutischer Behandlung hingegen sei gering. Dies habe auch mit Vorurteilen gegenüber der älteren Generation zu tun, etwa der Annahme, dass über 65-Jährige sich nicht mehr auf Veränderungen einstellen können. Die Fakten würden jedoch eines Besseren belehren. So unterscheide sich die Prognose von Depressionen im Alter nicht von der im jüngeren Erwachsenenalter. Neuronale Plastizität bleibe bis ins hohe Alter erhalten. Der Ausschuss „Psychotherapie in der ambulanten Versorgung“ stellte daher Überlegungen dazu an, was es braucht, um die Versorgungslage für die älteren Generationen zu verbessern, erklärte die Ausschussvorsitzende. Auch dem Vorstand und der Kammerversammlung sei diese Frage ein Anliegen. Mit dem Symposium wolle man Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bestärken, das Versorgungsangebot von älteren bis hochbetagten Personen auszubauen. Die Lebensphase des Alters habe weit mehr zu bieten, als Klischees es glauben lassen würden. Stellvertretend für alle älteren Menschen präsentierte sie hierzu das Foto einer 92-jährigen Dame, deren Lachen und Lebensfreude gängigen Altersstereotypen entgegensteht. Bei den Mitgliedern im Ausschuss bedankte sich Britta Hollenbeck für das Engagement bei der Konzeption und Vorbereitung der Veranstaltung und bei der Geschäftsstelle für die Durchführung des Symposiums.

Verhaltenstherapeutische Behandlung von Menschen im höheren Lebensalter
 

Prof. Dr. Simon Forstmeier  ist Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie der Lebensspanne an der Universität Siegen. In seinem Vortrag beschrieb er die vielfach mit einem höheren Lebensalter verbundenen körperlichen, kognitiven und sozialen Veränderungen. Des Weiteren erläuterte er spezifische Herausforderungen und Ressourcen, die in der psychotherapeutischen Arbeit berücksichtigt werden sollten und genutzt werden können. Weiterführend blickte der Psychologische Psychotherapeut auf drei verhaltenstherapeutische Konzepte und ihre Wirksamkeit für die Behandlung von Menschen höheren Lebensalters. Zum einen könne die verhaltenstherapeutische Depressionsbehandlung mit Modulen wie Verhaltensaktivierung, kognitiver Umstrukturierung oder Kompetenzaufbau herangezogen werden. Wenn Besonderheiten des Alters berücksichtigt und Ziele und Themen in der Therapie darauf angepasst würden, erweise sich die Verhaltenstherapie als sehr wirksam bei Depression im Alter und als moderat wirksam bei Angststörungen im Alter. Zum zweiten sei die Lebensrückblicktherapie mit ihren verschiedenen Elementen eine wirksame Alternative, informierte Prof. Dr. Simon Forstmeier. Sie könne in diversen Varianten durchgeführt werden und beispielsweise gut mit Methoden der Verhaltensaktivierung kombiniert werden. Als dritten Ansatz beleuchtete der Referent die verhaltenstherapeutische Angstbehandlung. Sie zeige in der therapeutischen Arbeit mit älteren und alten Menschen nur mittelgroße Effekte. Dies könne unter anderem an Faktoren wie einem möglicherweise hohen Chronifizierungsgrad von Symptomen liegen. Abschließend motivierte der Psychotherapeut, sich für die Versorgung Älterer zu öffnen. Bei entsprechender Anpassung an körperliche und kognitive Veränderungen im Alter ließe sich erfolgreich verhaltenstherapeutisch mit dieser Patientengruppe arbeiten.

Psychodynamische Psychotherapie Älterer – Welche neueren Entwicklungen gibt es?

Prof. Dr. Meinolf Peters, Mitinhaber und Geschäftsführer des Instituts Alterspsychotherapie und Angewandte Gerontologie in Marburg, befasste sich mit Besonderheiten der tiefenpsychologisch fundierten Behandlung von Menschen im höheren Lebensalter. Lange Zeit sei der Anteil älterer Patientinnen und Patienten in der psychotherapeutischen Praxis gering gewesen, blickte der Psychologische Psychotherapeut zurück. Diess sei momentan im Wandel. Die Gruppe der über 80-Jährigen in psychotherapeutischer Behandlung sei allerdings weiterhin klein. Hinsichtlich der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie mit Seniorinnen und Senioren lud Prof. Dr. Meinolf Peters ein, Alter nicht allein als Phase von Verlust und Defiziten zu betrachten. Vielmehr gelte es, das grundlegende Verständnis von Psychotherapie und die Frage nach psychodynamischen Konflikten auch auf Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Alter zu übertragen. Dies ermögliche die therapeutische Arbeit auch mit Hochaltrigen. Ausführlich ging er auf die Besonderheiten in der Übertragungs- und Gegenübertragungsbeziehung angesichts möglicher Altersunterschiede zwischen Patientin/Patient und Therapeutin/Therapeut ein. Des Weiteren betonte Prof. Dr. Meinolf Peters, dass bei Älteren stets die historische Perspektive und die Möglichkeit von Retraumatisierungen mitzudenken sei. Ebenso erweise sich eine im Alter oft verringerte Mentalisierungsfähigkeit als therapierelevant. Er hielt fest, dass die psychodynamische Psychotherapie für ältere Menschen in einigen Aspekten angepasst werden müsste. Des Weiteren sei zu überlegen, wie neurophysiologische Veränderungen im Gehirn in eine psychodynamische Psychotherapie integriert werden können. Abschließend plädierte der Referent dafür, die Grundlagenwissenschaft der Gerontologie stärker heranzuziehen, um zu erkennen, wie bestimmte Interventionen für die Alterspsychotherapie modifiziert und zielgerichteter eingesetzt werden können.

Systemische Therapie mit älteren Menschen und ihren Angehörigen 

Prof. Dr. Kirsten von Sydow, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Systemische Psychotherapie, lehrt an der Medical School Hamburg und ist in eigener Praxis in Hamburg niedergelassen. In ihrem Vortrag stellte die Psychologische Psychotherapeutin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin theoretische Grundlagen und Interventionen der Systemischen Therapie dar. Erste Ergebnisse aus der Wirksamkeitsforschung würden bestätigen, dass Systemische Therapie nachweislich auch bei Menschen höheren Alters wirksam sei. Auch bei psycho-somatischen Erkrankungen zeige sie positive Effekte auf das psychische Befinden der Erkrankten und auch deren Angehörigen. Mitunter seien ebenfalls Effekte auf das somatische Befinden der Erkrankten feststellbar. Mit Blick in die Praxis erläuterte Prof. Dr. Kirsten von Sydow spezifische Fragestellungen und Anliegen der Systemischen Therapie mit älteren Menschen. Hierzu würden Probleme und Familienkonflikte zählen, die sich im Umgang mit Krankheit, Demenz und Pflegebedürftigkeit ergeben. Emotionale oder sexuelle Partnerschaftsprobleme sowie Partnerverlust seien weitere häufige Themen. Zusammenfassend hielt sie fest, dass Systemische Therapie ein hilfreicher Ansatz für ältere Menschen und ihr soziales Umfeld sein könne. Insbesondere seien die Familien- und Kontextorientierung sowie die Mehr-Generationen-Perspektive von Bedeutung. Auch das Bemühen, vorhandene Ressourcen aufzudecken und das Gute im Schlechten zu finden, seien zentrale Aspekte in der therapeutischen Arbeit. Abschließend kritisierte Prof. Dr. Kirsten von Sydow die derzeit vom Gesetzgeber festgelegten Höchstkontingente von 48 Stunden für Systemische Therapie. Sie seien sehr oft unzureichend für die Behandlung von Menschen, die gravierende psychische Symptome aufweisen oder psychische und zugleich schwere somatische Probleme mitbringen würden, wie es bei Älteren häufig der Fall sei.

Lebhafter Austausch zu den Vorträgen und in einer Podiumsdiskussion 

In der Diskussion jeweils im Anschluss an die Vorträge wurden Fragen zur Forschungslage und zum Einsatz der vorgestellten Therapieverfahren für die Behandlung der älteren Generation vertieft. Angesprochen wurde unter anderem, wie Traumafolgestörungen begegnet werden kann, was die Mentalisierungsfähigkeit anregt oder wie Selbstwirksamkeitserleben sowie Ressourcenorientierung gefördert werden können. Auch Überlegungen im Zusammenhang mit Alternsunterschieden zwischen Behandelnden und Patientin bzw. Patient wurden weiterführend besprochen.

An einer Podiumsdiskussion beteiligten sich neben den Vortragenden auch Melany Richter, Leiterin des Referats Prävention, Psychische Gesundheit und Sucht im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und Ulrich Adler, Leiter regionales Vertragswesen bei der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen der Techniker Krankenkasse. Gemeinsam mit den Teilnehmenden schärften sie strukturelle und inhaltliche Hindernisse, die der psychotherapeutischen Versorgung der älteren Generationen im Wege stehen. Dabei wurden einerseits versorgungspolitische Hürden angesprochen. Andererseits wurde thematisiert, wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten darin bestärkt werden könnten, sich dieser Patientengruppe anzunehmen. Ulrich Adler beschrieb als Herausforderung, den stationären und den ambulanten Bereich besser miteinander zu verzahnen. Es gelte, gemeinsam Wege zu finden, um gute psychotherapeutische Angebote für ältere Menschen zu schaffen. Dabei seien Möglichkeiten wie die Förderung von neuen Versorgungsformen durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mitzudenken. Melanie Richter hob hervor, dass viele Fragen speziell den Zugang von Menschen im höheren Alter zur Psychotherapie betreffen würden. Damit werde deutlich, wie wesentlich es sei, dass unterschiedliche Leistungserbringende voneinander wissen und Versorgungsmöglichkeiten wie Psychotherapie für ältere Menschen kennen. Dies sei ein wichtiger Impuls auch für die Fortschreibung des Landespsychiatrieplan NRW, mit der sich das Gesundheitsministerium u. a. derzeit befasse. Festgehalten wurde darüber hinaus die Aufgabe, Fragen zu den Spezifika der Alterspsychotherapie mit Fortbildungsangeboten zu beantworten. Andreas Pichler, Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, wies darauf hin, dass es sinnvoll erscheine, neben Fragen der Versorgungsplanung auch niederschwellige Angebote vor Ort beispielsweise über den Öffentlichen Gesundheitsdienst in den Blick zu nehmen.

Alterspsychotherapie – notwendig, möglich und hilfreich

Oliver Kunz aus dem Vorstand der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen resümierte in seinem Schlusswort, dass die Veranstaltung gezeigt habe: Psychotherapie im Alter sei notwendig, möglich und hilfreich. Es gäbe gute Ideen aus verschiedenen Verfahren und verfahrensübergreifend. Prof. Dr. Meinolf Peters habe in seinem Vortrag von einem „Vermeidungsbündnis“ gesprochen und beschrieben, wie Vorbehalte seitens verschiedener Beteiligter bewirken, dass Psychotherapie im Alter wenig stattfinde. Das Symposium der Kammer könne als ein Beitrag gesehen werden, mögliche Vorbehalte oder Vorurteile aufzubrechen, befand Oliver Kunz. Er dankte dem Organisationsteam für die Umsetzung der Veranstaltung und den Referierenden und Teilnehmenden für ihre Beiträge. Abschließend dankte er namentlich den Mitgliedern im Ausschuss „Psychotherapie in der ambulanten Versorgung“ für ihre Arbeit. Als Vorstandsmitglied habe er den Ausschuss in dieser bald endenden Wahlperiode begleitet und erlebt, wie viel Engagement in die Ausschussarbeit einfließe.

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