1. Video-Ratschlag der 5. Kammerversammlung

Am 11. Dezember 2020 diskutierten die Kammerversammlungsmitglieder der Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) in einem Video-Ratschlag den Bericht des Vorstandes zu den Aktivitäten der Kammer von November 2019 bis Oktober 2020. Sechs Wochen zuvor war die Kammerversammlung zu einer Sitzung in Präsenz zusammengekommen, um unter anderem auch über Satzungsänderungen abzustimmen, die bei außergewöhnlichen Ereignissen wie aktuell der COVID-19-Pandemie die Arbeitsfähigkeit der Kammer sichern. Um die unter strengen Hygieneauflagen veranstalte Präsenssitzung angesichts eventueller Infektionsrisiken zeitlich begrenzen zu können, hatte man im Vorfeld verabredet, den Austausch über den Vorstandsbericht in einem digitalen Treffen nachzuholen. Mit gut 100 teilnehmenden Kammerversammlungsmitgliedern war die Beteiligung an dem Video-Ratschlag groß.

Schwerpunktthema Kinderschutz

Gerd Höhner, Präsident der PTK NRW, begrüßte die Kammerversammlungsmitglieder und stellte in seinem mündlichen Bericht die Aktivitäten des Vorstandes im Bereich Kinderschutz vor – einem aktuellen Schwerpunktthema auf der Agenda der Kammer. Man habe intensiv die Arbeit der Ende 2019 einberufenen Landtags-Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder verfolgt. In den Anhörungen der Kommission sei unter anderem die fachliche Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendhilfe diskutiert und damit ein Arbeitsfeld auch von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten angesprochen worden. Der Kammervorstand habe daher Kontakt zu der Kinderschutzkommission aufgenommen und sei Ende November zu einer Anhörung in den Landtag geladen worden. Im Vorfeld der Anhörung, in der insbesondere die Frage nach der Versorgung von Kindern im Falle von Vernachlässigung und Gewalt gestellt wurde, hatte die PTK NRW eine Stellungnahme zu Interventionsmaßnahmen und Anschlusshilfen eingereicht.

Sichtweisen und Angebote der Profession

In der Anhörung habe sich der Vorstand der PTK NRW auf drei Schwerpunkte fokussiert, erläuterte Gerd Höhner. „Wir haben betont, dass wir uns um die Familien der von Gewalt betroffenen Kinder kümmern müssen, die in der Regel unter einem erheblichen Druck stehen. Wir haben deutlich gemacht, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe ausreichend qualifiziert sein müssen und in ihrer beruflichen Praxis begleitende Angebote wie Fallaufbereitung, Supervision und Psychohygiene benötigen, es aber an systematischen Vorgaben hierzu mangelt.“ Drittens habe man die notwendige Fort- und Weiterbildung der Familienrichterinnen und -richter angesprochen. „Dabei haben wir auch darauf hingewiesen, dass wir es kritisieren, wenn seitens der Justiz den Familien abgeraten wird, ihr betroffenes Kind in laufenden Verfahren psychotherapeutisch begleiten zu lassen, weil man befürchte, dass dadurch die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen negativ beeinflusst werde. Tatsächlich ist es aber eher so, dass das Kind im individuellen Fall eventuell erst in die Lage versetzt wird, über seine Erlebnisse reden zu können.“ Insgesamt seien die Sichtweisen und Angebote von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Bereich Kinderschutz in der Politik auf viel Interesse gestoßen und man wolle zu dem Thema in Kontakt bleiben, resümiert der Kammerpräsident.

In der Aussprache wurde die Dringlichkeit der benannten Fragestellungen hervorgehoben und begrüßt, dass der Vorstand hierzu aktiv ist und die Perspektive der in diesem Bereich erfahrenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einbringt. Es wurde auf den bei der 2. Sitzung der Kammerversammlung beschlossenen Round Table zum Thema „Psychotherapie im institutionellen Bereich (Jugendhilfe, Beratungsstellen)“ hingewiesen und vorgeschlagen, über die Einrichtung einer Kinderschutzkommission der PTK NRW nachzudenken. Mit Blick auf die Gesamtheit des schriftlichen Vorstandsbericht betonten Kammerversammlungsmitglieder anerkennend, dass die umfangreiche Zusammenstellung aufzeige, wie auch in Zeiten der Pandemie zu vielerlei Themenfeldern engagiert gearbeitet worden ist.

Digitalisierung in der Psychotherapie

PTK NRW-Vorstandsmitglied Barbara Lubisch informierte die Kammerversammlungsmitglieder über die Entwicklungen im Bereich Digitalisierung. Insgesamt sei der Bereich komplex und beinhalte zahlreiche Themen für niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. In ihrem Überblick über die geplanten Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) wies sie darauf hin, dass auf die Profession auch Beratungsaufgaben zukämen. „In der für 2021 vorgesehenen elektronischen Patientenakte können die Dokumente nicht gezielt freigegeben werden. Wir sollten daher unsere Patientinnen und Patienten gut beraten, wenn sie Fragen hierzu haben.“ Ein weiteres zentrales Thema seien Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Barbara Lubisch erinnerte daran, dass die PTK NRW in ihrer Resolution zu DiGA Ende Oktober 2020 bereits einen erheblichen Nachbesserungsbedarf formuliert hatte. Ein deutlicher Kritikpunkt sei, dass Krankenkassen DiGA ohne psychotherapeutische oder ärztliche Verordnung abgeben können. „Auch hinsichtlich der Wirksamkeitsnachweise, der fachlichen Begleitung von Patientinnen und Patienten oder bei der Überprüfung von Kontraindikationen sehen wir Probleme. Zudem sind Haftungsfragen ungeklärt. Alles in allem werden wir uns mit dem Thema DiGA noch intensiv auseinandersetzen müssen.“

Abschließend blickte die Beisitzerin im Vorstand der PTK NRW auf die mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale Versorgung und Pflege - Modernisierungs-Gesetz, DVPMG) geplanten Regelungen, das im November 2020 als Referentenentwurf vorgelegt wurde. Einige der Vorschläge seien positiv zu werten, etwa die Anhebung des Kontingents für Videosprechstunden von 20 auf 30 Prozent; manche Ideen würden unklar bleiben, zum Beispiel die Entwicklung digitaler Identitäten. „Insgesamt lässt der umfassende Entwurf eine große Kluft zwischen Entwicklern und Anwendern erkennen“, bilanzierte Barbara Lubisch. „Entsprechend wichtig ist es, dass wir uns als Profession an der Meinungsbildung beteiligen und politisch Einfluss nehmen.“

Qualitätssicherungsverfahren in der ambulanten Psychotherapie

Vorstandsmitglied Bernhard Moors widmete sich dem umfassenden Thema Qualitätssicherung. Er skizzierte den Arbeitsauftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Entwicklung eines Qualitätssicherungsverfahren zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung und informierte, dass bis Ende August 2022 der Abschlussbericht des vom G-BA beauftragten Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vorgelegt werden soll. Die für die Entwicklung qualitätssichernder Maßnahmen benötigten Daten sollen aus den Sozialdaten der gesetzlichen Krankenkassen, der Dokumentation der Leistungserbringenden und aus Patientenbefragungen gewonnen werden.

In der PTK NRW habe man mit der Verabschiedung von Empfehlungen zur Dokumentation psychotherapeutischer Behandlungen vor circa einem Jahr hinsichtlich der Leistungserbringerdokumentation bereits gut vorgearbeitet. Im Mai 2020 sei das IQTIG mit der Bitte an die Profession herangetreten, Patientinnen und Patienten zur Teilnahme an einer Befragung zu motivieren. „Die geplante Standardbefragung betrachten wir allerdings in verschiedenen Aspekten als kritisch“, erklärte Bernhard Moors. „Nicht zuletzt sehen wir die Gefahr, dass die Qualitätssicherungsmaßnahmen für ein Benchmarking der psychotherapeutischen Praxen missbraucht werden könnten.“ Mittlerweile habe der G-BA den Zwischenbericht des IQTIG zum entwickelten Qualitätsmodell zur Veröffentlichung freigegeben. Darin seien von insgesamt 15 identifizierten Qualitätsaspekten 12 für die Überprüfung ausgewählt worden. Welche Aspekte aus psychotherapeutischer Sicht bei der Entwicklung des Qualitätssicherungsverfahrens zu beachten seien, habe die PTK NRW bereits in ihrer Resolution zur Qualitätssicherung im Oktober 2020 festgehalten. „Wir werden nun auf allen Ebenen kritisch, engagiert und nachdrücklich unsere Forderung nach Einbeziehung und Mitwirkung der Psychotherapeutenkammern einbringen und sprechen uns dafür aus, die Bund-Länder-AG ‚Qualitätssicherung in der Psychotherapie‘ fortzuführen“, unterstrich Bernhard Moors.

Spezielle Psychotherapie bei Diabetes

Im Mai 2019 hatte die Kammerversammlung dem Vorstand der PTK NRW den Prüfauftrag übertragen, wie auf der Grundlage des vom Ausschuss Fort- und Weiterbildung vorgelegten Curriculums „Spezielle Psychotherapie bei Diabetes“ Fortbildungsveranstaltungen angeboten werden könnten. Andreas Pichler, Vizepräsident der PTK NRW, stellte die Prüfergebnisse hierzu vor. Der Vorstand sei angesichts der bisherigen Debatte und des im Herbst 2018 durchgeführten Fachtages Diabetes zu dem Schluss gekommen, dass grundlegende Fortbildung zu diesem Thema sinnvoll sei und möglichst schon im 2. Halbjahr 2021 eine 1,5- oder 2-tägige Veranstaltung hierzu angeboten werden sollte. 

Die Organisation und das Angebot von Veranstaltungen entsprechend des vom Ausschuss Aus- und Weiterbildung vorgelegten Curriculums durch die PTK NRW sei jedoch aus verschiedenen Gründen nicht machbar und nicht notwendig. „Zum einen verfügt die Kammer nicht über die benötigten Kapazitäten für die Entwicklung und Durchführung einer derart umfangreichen Fortbildung bzw. Fortbildungsreihe“, verdeutlichte Andreas Pichler. „Zum anderen wäre ein solches Angebot als Konkurrenz zum Angebot der Deutschen Diabetes Gesellschaft zu sehen und daher nicht sinnvoll, zumal die Kammer die Veranstaltungen der DDG unproblematisch anerkennen kann.“ Nach wie vor würde der Vorstand einen versorgungs- und berufspolitischen Bedarf für eine Weiterbildung in spezieller Psychotherapie bei Diabetes sehen und eine Verschränkung von Fort- und Weiterbildung im Sinne einer Win-win-Situation für gut umsetzbar halten. „Wir werden hierzu im Ausschuss Fort- und Weiterbildung in Bereichen, in den Fraktionen und in der Kammerversammlung weiter beraten“, kündigte der Vizepräsident der PTK NRW an.

Reform der Musterweiterbildungsordnung

Abschließend fasste Dr. Jürgen Tripp, Vorsitzender des Ausschusses Aus- und Weiterbildung im Rahmen der Ausbildungsreform, die Diskussion zur Musterweiterbildungsordnung und den aktuellen Stand nach dem 37. Deutschen Psychotherapeutentag (DPT) im November 2020 zusammen. Die fünf zentralen Themen seien das Transitionsalter, die Kombination von Verfahren ausgehend von der „Verklammerung“ der tiefenpsychotherapeutischen und psychoanalytischen Verfahren, die Einführung der Neuropsychologischen Psychotherapie als Gebiet, die Koordinierung und schließlich die Flexibilisierung der Weiterbildung. In seiner Präsentation skizzierte der Ausschussvorsitzende die mit diesen Themen verbundenen Fragen und die pro- und contra-Argumente. In dem Kooperationsprojekt „Reform der Musterweiterbildungsordnung“ unter Federführung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) werde hierzu intensiv weitergearbeitet.

Zum Abschluss des Video-Ratschlags bedankte sich Kammerpräsident Gerd Höhner bei den Kammerversammlungsmitgliedern für die rege Teilnahme und die konstruktiven Beiträge im Rahmen des erstmals in dieser Größenordnung umgesetzten digitalen Diskussionsforums.

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