Online-Regionalversammlung für den Regierungsbezirk Münster am 1. Dezember 2021

Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW hatte die Kammerangehörigen im Regierungsbezirk Münster für den 1. Dezember 2021 zu einer Regionalversammlung eingeladen. Rund 50 Kammermitglieder nahmen an der aufgrund der Pandemielage online durchgeführten Veranstaltung teil. Auf den Regionalversammlungen, die in regelmäßigen Abständen reihum in den nordrhein-westfälischen Regierungsbezirken stattfinden, informiert der Kammervorstand zu gesundheits- und berufspolitischen Entwicklungen, über die Aktivitäten der Kammer auf Landes- und Bundesebene und bietet die Möglichkeit, miteinander in den Austausch zu kommen.

Zunehmender Bedarf in Zeiten der Pandemie

Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, begrüßte die Teilnehmenden und blickte in seinem Vortrag auf Defizite der psychotherapeutischen Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen. Man sei nach wie vor mit den Berechnungsfehlern von 1999 konfrontiert und die geringe Zahl neu zugelassener Sitze sei nicht fachlich begründet, sondern interessengesteuert. Patientinnen und Patienten müssten viel zu lange auf den Beginn einer Richtlinientherapie warten – auch, weil es zusätzlich im Zuge von COVID-19 deutlich mehr Anfragen gäbe. „Ich danke den Kolleginnen und Kollegen sehr für ihr Engagement in diesen herausfordernden Zeiten. Wir können stolz auf den großen Einsatz unserer Profession und die geleistete Mehrarbeit sein. Das strukturelle Problem bleibt allerdings bestehen.“ Insbesondere bräuchte es Angebote für Kinder und Jugendliche. „Sie sind durch die Krise oft sehr belastet, kamen aber in der Diskussion lange Zeit zu kurz.“ Die Psychotherapeutenkammer NRW habe dies auf Landes- und Bundesebene mehrfach angesprochen. Darüber hinaus hatte die Kammerversammlung in ihrer Resolution „Ermächtigungen zur Verbesserung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie nutzen!“ [PDF, 102 KB] einen Ausbau der Kapazitäten gefordert.

Flutopfer längerfristig unterstützen

Auch die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 habe Mängel offengelegt: Die üblichen Katastrophenschutzmaßnahmen hätten funktioniert, doch die Entscheidungsträger seien nicht ausreichend auf die Versorgung von psychisch belasteten Menschen eingestellt. Dies werde sich durch Initiativen in Nordrhein-Westfalen ändern, hofft Gerd Höhner. „Zudem möchte ich den vor Ort aktiven Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten danken, die schnell Unterstützungsangebote organisiert haben.“ An die Verantwortlichen in der Politik appellierte er, ausreichend Versorgungskapazitäten zu schaffen. Dies sei auch im Nachgang der Katastrophe wichtig. Vielen Betroffenen würde die Rückkehr in die Normalität schwerfallen, selbst wenn die äußere Ordnung wiederhergestellt sei. Die Kammerversammlung hatte hierzu bereits im November die Resolution „Psychische Folgen der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen ernst nehmen – die Menschen nicht vergessen!“ [PDF, 117 KB] verabschiedet.

Als eine wichtige Neuerung in der Versorgung hob der Kammerpräsident die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im September 2021 verabschiedete Richtlinie zur berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung von psychisch schwer erkrankten Erwachsenen mit einem komplexen psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSVPsych-RL) hervor. Es sei der richtige Schritt, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Rahmen der „Komplexversorgung“ die Behandlungsführung verantworten können.

„Kurs auf eine echte Reform der Versorgungsplanung“

„Der Koalitionsvertrag hält positive Ansätze für den Berufsstand fest und viele der Formulierungen gehen auf die Lobby-Arbeit unserer Profession zurück“, sagte Gerd Höhner mit Blick auf die Pläne der neuen Bundesregierung. Zu den Vorhaben gehöre unter anderem, die Bedarfsplanung zu reformieren und im stationären Bereich für eine leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung zu sorgen. Abschließend fasste der Kammerpräsident die Forderungen der Psychotherapeutenkammer NRW an die Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik zusammen. Dazu gehöre, die außervertragliche Psychotherapie im Kostenerstattungsverfahren nach § 13Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) leichter zugänglich zu machen. Auch die Angebote zur psychosozialen Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien sollten verbessert und die Jugendhilfe gestärkt werden.

Umsetzung der Muster-Weiterbildungsordnung

Barbara Lubisch aus dem Vorstand der Psychotherapeutenkammer NRW erläuterte Grundzüge der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Approbierte Absolventinnen und Absolventen des Studiums erwerben in ihrer Weiterbildung die Fachkompetenz in einem oder mehreren wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren. Neben den Gebieten „Kinder und Jugendliche“ und „Erwachsene“ ist die „Neuropsychologische Psychotherapie“ als drittes Gebiet der Weiterbildung hinzugekommen. „In der Profession haben wir uns die Diskussion der Lösungen nicht leicht gemacht“, erklärte Barbara Lubisch. „Generell wurde bei der Erarbeitung der Muster-Weiterbildungsordnung darauf geachtet, die Breite der psychotherapeutischen Tätigkeitsfelder aufzugreifen.“

Auf dem Deutschen Psychotherapeutentag im November seien weitere Beschlüsse zur Muster-Weiterbildungsordnung gefasst worden. Hierzu gehöre die Festlegung der Berufserfahrung von Weiterbildungsbefugten auf mindestens drei Jahre. Dringend zu klären sei die Finanzierung der Weiterbildung insbesondere im ambulanten Bereich. In den Koalitionsvertrag der neuen Regierungsparteien sei dieses Anliegen nicht eingegangen, bedauerte Barbara Lubisch. „Hier muss die Politik nachsteuern.“

Die Psychotherapeutenkammer sei derzeit im Prozess, die Weiterbildungsordnung auf Landesebene umzusetzen. Dabei solle die Muster-Weiterbildungsordnung möglichst eins-zu-eins übernommen und damit auch Teilzeitmodelle umsetzbar werden. Der Vorstand sehe auch die Herausforderung der langjährigen Parallelität von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung nach bisherigem Recht und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Weiterbildung nach neuem Recht und stünde zu zahlreichen Einzelfragen in engem Austausch unter anderem mit Kliniken, Hochschulen, Instituten und Praxen. „Das ehrgeizige Ziel ist, in der Kammerversammlung im Frühjahr 2022 die neue Weiterbildungsordnung für NRW rechtskräftig beschließen zu können“, informierte Barbara Lubisch. Die Akkreditierung der ersten Weiterbildungsstätten und -befugten sei für Herbst 2022 geplant. Abschließend appellierte sie an die Kammermitglieder, sich in der Weiterbildung zu engagieren. „Ambulante Weiterbildung findet schwerpunktmäßig in den Ambulanzen der Weiterbildungsstätten statt und soll auch bei niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten möglich sein.“

„Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten“

In Vertretung für ihre Vorstandskollegen Bernhard Moors und Andreas Pichler informierte Barbara Lubisch im dritten Themenblock zu der Digitalisierung im Gesundheitswesen und den Auswirkungen auf die psychotherapeutische Praxis. Sie betonte, dass die Entwicklung nicht aufzuhalten sei und das Vertrauen der Bevölkerung in Digitalisierung und Datensicherheit wachsen würde. Damit einhergehend würden Patienteninnen und Patienten in der psychotherapeutischen Versorgung digitale Angebote aktiv anfragen. „Dies erhöht den Anspruch an uns, denn persönliche Gesundheitsdaten sind besonders schützenswert“, betonte Barbara Lubisch. „Datenschutz und Datensicherheit sind damit ein wichtiges Querschnittsthema, mit dem wir uns befassen müssen.“

Als weiteren Themenkomplex beschrieb sie die Telematik-Infrastruktur. Die Vorhaben seien anspruchsvoll teuer; auf längere Sicht könnten sie die Versorgung vielleicht erleichtern, aktuell sei jedoch vieles verzögert und noch nicht funktionsfähig. Die mit der IT-Sicherheitsrichtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) im Dezember 2020 beschlossenen Anforderungen zum Datenschutz seien auch für niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bindend. Wer bei der Umsetzung kostenpflichtige professionelle Unterstützung hinzuziehen wolle, finde auf der Internetseite der KBV [externer Link] ein Verzeichnis zertifizierter Dienstleister.

Hinsichtlich Internetanwendungen in der Psychotherapie würden aktuell der Innovationsfonds, die Bundespsychotherapeutenkammer, Krankenkassen und Universitäten einzelne verfahrens- und diagnoseübergreifende Methoden entwickeln (s. www.toni-therapie.de [externer Link]). Interessierte Kammermitglieder rief Barbara Lubisch auf, sich an Studien hierzu zu beteiligen. Bezüglich der Videotherapie hielt sie fest, dass die Nachfrage im Sommer zurückgegangen sei, aber weiterhin höher liege als vor der Pandemie; die Corona-bezogenen Ausnahmeregelungen seien bis Ende März verlängert worden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Videotherapie als ein mögliches Vorgehen für bestimmte Situationen auch auf Dauer etablieren werde.

Vorläufige Zulassung von DiGA in der Kritik

Ein vielschichtiges Thema, mit dem der Berufsstand sich intensiv auseinandersetzen müsse, seien Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Im kvappradar des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI) [externer Link] könnten hierzu Hintergrundinfos eingesehen und Apps bewertet werden. Bislang seien nur solche Anwendungen auf dem Markt, die als Selbsthilfeprogramm durchgeführt werden. Gesetzlich Krankenversicherte hätten jedoch einen Anspruch auf die Versorgung mit DiGA, die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verordnen können und die von den Krankenkassen bezahlt werden. „Deutlich kritisieren wir die vorläufige Zulassung der DiGA – Patientinnen und Patienten dürfen keine Versuchskaninchen sein“, mahnte Barbara Lubisch. Ein weiteres Problem sei, dass manche DiGA über den App-Store geladen werden und damit die Gefahr bestehe, dass die Betreiber Einblick erhalten können, wer die medizinischen Anwendungen nutzt. Derzeit registriere man, dass die Krankenkassen DiGAs vorsichtiger ausgeben würden. Die anfängliche Euphorie würde unter anderem durch teilweise hohe Kosten gedämpft. Ein Nutzen könnte es sein, wenn sich mit DiGA z.B. Wartezeiten in der psychotherapeutischen Versorgung überbrücken ließen. Dies müsse jedoch gestaltet und begleitet werden.

Die Psychotherapeutenkammer NRW werde sich in der Auseinandersetzung mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen weiterhin an der Meinungsbildung und der politischen Diskussion beteiligen, bekräftigte Barbara Lubisch. In der Kammer sei der Ausschuss Digitalisierung sehr aktiv, die Bundespsychotherapeutenkammer habe eine Kommission zu diesem Themenbereich eingesetzt.

Gerd Höhner dankte abschließend allen Teilnehmenden für ihr Interesse an den Vorträgen, Barbara Lubisch für ihre Vertretung der verhinderten Vorstandskollegen und der Geschäftsstelle der Kammer für die gute Organisation der Online-Veranstaltung.

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