Psychisch krank am Arbeitsplatz Was kann der einzelne Arbeitnehmer tun? – Drei Schritte

Wer psychisch erkrankt, fällt häufig wochen- und monatelang am Arbeitsplatz aus. Viele Arbeitnehmer gehen auch trotz psychischer Beschwerden arbeiten, weil sie deshalb nicht im Unternehmen auffallen möchten. „Psychische Erkrankungen werden immer noch verheimlicht, weil sie stigmatisiert sind“, erklärt Dr. Christoph Kröger auf dem Jahreskongress Psychotherapie 2013 am 19. Oktober in Bochum. „Wer jedoch eine Depression verschleppt, geht ein hohes Risiko ein, immer wieder depressiv zu erkranken.“ Mit drei Schritten kann jeder psychisch angeschlagene Arbeitnehmer prüfen, was er selbst tun kann.

1. Überlegen: Habe ich vielleicht eine psychische Erkrankung?

Jeder Mensch ist hin und wieder niedergeschlagen und antriebslos, manchmal auch mehrere Tage lang. Deshalb ist er noch nicht krank. Mit psychischen Krisen kommen die meisten Menschen alleine zu recht, indem sie mit anderen darüber sprechen. Von einer depressiven Erkrankung spricht man erst, wenn man es z.B. länger als zwei Wochen nicht schafft, alltägliche Aufgaben anzupacken oder sich überhaupt zu etwas aufzuraffen. Am Arbeitsplatz zeigen sich Depressionen z.B. dadurch, dass man ständig unkonzentriert ist, Konflikten schnell aus dem Weg geht - und das gar nicht von sich kennt! Aufpassen sollte, wer auch am Wochenende nicht mehr entspannen kann, gar nicht mehr ausgeht oder wem Freunde oder die Familie einfach zu viel werden. „Wer solche Veränderungen sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz feststellt, sollte fürsorglich mit sich umgehen und professionelle Hilfe suchen“, empfiehlt Christoph Kröger, Leiter der Psychotherapieambulanz der TU Braunschweig. „Je früher, desto besser.“

2. Klären: Welche Rolle spielt der Arbeitsplatz?

Eine Depression kann verschiedene Ursachen haben. Die Ursachen können im Privaten oder am Arbeitsplatz zu finden sein. Auch biologische und biographische Bedingungen können eine Rolle spielen. Mit einem Psychotherapeuten kann ein Patient besprechen, was passiert ist, dass er aus der psychischen Balance geraten ist. Mit ihm zusammen kann er genauer überlegen: Seit wann kann ich meine Aufgaben nicht rechtzeitig erledigen? Warum kann ich mich nicht konzentrieren? Warum kann ich einen Konflikt zwischen Kollegen nicht ansprechen? Oder liegen innere psychische Konflikte vor, die verhindern, das Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten anzugehen? „Die genaue Arbeitsplatzanalyse kommt häufig zu kurz“, stellt Kröger fest. „Dabei ist es entscheidend herauszubekommen, ob jemand seine Arbeit nicht schafft, weil er depressiv ist oder ob er depressiv ist, weil ihn seine Arbeit psychisch krank macht.“

3. Beraten: Rede ich im Betrieb darüber?

Psychische Krankheiten sind nach wie vor stigmatisiert. Psychisch kranke Arbeitnehmer können schnell zum Außenseiter und Sonderling werden, auch wenn ein Unternehmen dies gar nicht befördert. Deshalb sollte man vorher genau überlegen, ob und mit wem man in seinem Betrieb über seine psychische Erkrankung spricht. Andererseits ist Kollegen oder Vorgesetzten vielleicht schon aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Bisher hat nur noch niemand offen darüber gesprochen. „Als Psychotherapeut stelle ich meinen Patienten zwei Fragen: Fühlen Sie sich überhaupt in der Lage, ein Gespräch über ihre psychischen Beschwerden zu führen? Und: Ist ihr Vorgesetzter vertrauenswürdig und können Sie mit ihm ein persönliches Gespräch führen, das nicht aktenkundig wird?“, so Kröger. Ein solches Gespräch mit dem Vorgesetzten kann sehr hilfreich sein. Ein Psychotherapeut kann einen Arbeitnehmer auf ein solches Gespräch vorbereiten. Ein Vorgesetzter sollte wie bei körperlichen Erkrankungen überlegen: Wie kann ich einen Mitarbeiter während seiner Erkrankung unterstützen? Was lässt sich an seinem Arbeitsplatz ändern? Zur Rolle des Vorgesetzten gehört aber auch, Ansprüche an den Mitarbeiter zu richten. „Die Auswahl der Aufgaben ist entscheidend: soviel zumuten, dass es keine Zumutung, sondern eine Wertschätzung ist und Mut macht. 

Hintergrund:

Psychische Erkrankungen sind häufig so schwer, dass sie zu Arbeitsunfähigkeit führen. Ihre betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Folgekosten sind enorm. Menschen mit psychischen Erkrankungen haben etwa doppelt so viele Fehltage am Arbeitsplatz wie Menschen ohne psychische Erkrankung. Nach Berechnungen der Bundespsychotherapeutenkammer (2012) gingen im Jahr 2011 circa fünf Prozent aller Krankschreibungsfälle auf psychische Erkrankungen zurück. Aufgrund der langen Krankschreibungen hat dies zu einem Anteil von 12,5 Prozent der betrieblichen Fehltage geführt. Der Anteil psychischer Erkrankungen bei betrieblichen Fehltagen nimmt seit 1990 kontinuierlich zu.

Psychische Erkrankungen führen außerdem immer häufiger zur Erwerbsunfähigkeit: Der Anteil der Renten aufgrund psychischer Erkrankungen hat sich von 15,4 Prozent im Jahr 1993 auf 41 Prozent im Jahr 2011 mehr als verdoppelt. In absoluten Zahlen gab es einen Anstieg von 41.409 Neuberentungen im Jahr 1993 auf 73.273 im Jahr 2011, das entspricht einem Anstieg von mehr als 75 Prozent. Dadurch entstehen Kosten allein durch Rentenzahlungen in Höhe von mehr als vier Milliarden Euro pro Jahr.

Die Bundesregierung schätzt, dass im Jahr 2008 ein Produktionsausfall von 26 Milliarden Euro auf psychische Erkrankungen zurückging.

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