Psychotherapeutische Akutversorgung im Notfall. Veranstaltung am 20. März 2010 in Dortmund

Wie werden akute psychische Verletzungen und Belastungen bei Großschadenslagen und Katastrophen versorgt? Was tun Psychotherapeuten vor Ort? Wie läuft die Nachsorge? Das waren zentrale Fragen auf der gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der Psychotherapeutenkammern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Das Interesse an dem Thema war groß, die Veranstaltung war kurz nach der Ankündigung bereits ausgebucht. Leitende Notfallpsychotherapeuten aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz informierten über die Abläufe der Gesundheitsversorgung bei Katastrophenfällen. Aktuelle Forschungsergebnisse zu Bedarf und Art psychotherapeutischer Versorgungsformen wurden referiert, die Einsatzpraxis mit Bildberichten veranschaulicht. Ein Rollenspiel mit Demonstration der Kommunikation und Kontaktaufnahme in Katastrophenszenarien vermittelte Eindrücke von der Beziehungsgestaltung mit unmittelbar Betroffenen. 

„Von Großschäden und Katastrophen kann jeder betroffen werden, sei es als Opfer oder als Heilberufler bei der Versorgung Verletzter“, stellte Monika Konitzer, Präsidentin der PTK NRW, in der Begrüßung der Teilnehmer fest. In NRW regelt ein Erlass, wie Psychotherapeuten bei den Vorsorgeplanungen aber auch bei Großschadenslagen selbst an der Gesundheitsversorgung der Opfer beteiligt werden. „Unsere Berufsgruppen müssen sich darauf einstellen, aus dem Kreise der Rettungsdienste und der Gesundheitsbehörden kommen zunehmend Anfragen zur Mitgestaltung der Versorgungskonzepte“, so Konitzer, „die PTK NRW ist deshalb auch Mitglied im Landesfachbeirat für den Rettungsdienst.“

„Die Akutversorgung einer seelischen Notlage ist genuiner Bestandteil der psychotherapeutischen Gesundheitsversorgung“, begann Werner W. Wilk, leitender Notfallpsychotherapeut und Beauftragter der Psychotherapeutenkammer NRW, sein Einführungsreferat. Psychotherapeutische Akutversorgung umfasse alle Maßnahmen, die Opfer psychisch zu stabilisieren, ihre seelische Not zu lindern und den weiteren Versorgungsbedarf abzuschätzen. Es habe sich während der Einsätze der Notfallpsychotherapeuten auf dem Weltjugendtag und bei der Fußball-WM gezeigt, dass weniger Psychotraumatisierte akutpsychotherapeutisch versorgt werden mussten, dafür aber umso mehr situationsbedingte psychoreaktive Störungen bei körperlichen und psychischen Vorerkrankungen. Dabei habe man sich der straffen Organisation und Befehlshierarchie im Rettungswesen der Feuerwehr zu unterziehen. Ihr obliegt die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr. Der Großschadensfall wird durch die Einsatzleitung der Feuerwehr festgestellt. Beim Massenanfall von Verletzten (MANV) sind die Gesundheitsbehörden zuständig. Der Erlass in NRW sieht vor, dass die PTK NRW dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) Leitende Notfallpsychotherapeuten benennt, welches diese den unteren Gesundheitsbehörden bekannt gibt. Maßnahmen zur ambulanten Akutversorgung werden von den zuständigen Gesundheitsbehörden dann im Benehmen mit den KV-Stellen und den Heilberufskammern getroffen.

„Die akute Belastungsreaktion ist eine natürliche psychische Antwort auf ein unnormales Ereignis, erst nach zwei Wochen bestehender Symptome stellt sich die Frage einer Behandlung“, sagte Dr. Christoph Kröger, Leiter der Psychotherapeutischen Hochschul- und Ausbildungsambulanz, TU Braunschweig. Eine behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sei keine zwangsläufige Folge eines traumatischen Erlebnisses, so Dr. Kröger. Neben einer PTBS seien depressive Episoden nach Verlustereignissen von gleicher Bedeutung für eine Nachfolgebehandlung. Bei der Krankheitsentwicklung spielten individuelle Kombinationen von Risikofaktoren eine Rolle. Nach internationalen klinischen Studien über die Folgen der Terroranschläge in New York, Madrid und London habe sich zur Feststellung von Schutz- und Risikofaktoren ein symptomorientiertes Screening mit speziellen Kurz-Fragebögen bewährt. Eine klinisch manifeste PTBS lasse sich mit traumafokussierten kognitiv-behavioralen Verfahren sehr wirksam behandeln.

Dem Überblick zum wissenschaftlichen Forschungstand folgte ein Rollenspiel. Hier erlebten die Teilnehmer eindrucksvoll den therapeutischen Umgang mit unterschiedlichen Belastungsreaktionen unter den Situationsbedingungen am Schadensort.

Die Aufgaben der Notfallpsychotherapeuten und den Aufbauprozess der Akutversorgung in Rheinland-Pfalz beschrieb Matthias Heidt, Beauftragter der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Am Beispiel des psychotherapeutischen Notfalleinsatzes bei der Gewalttat im Februar an einer Berufsbildenden Schule in Ludwigshafen wurden Aufgaben und Tätigkeiten erläutert. “Keine klassische Therapiesitzung am Schadensort“, war einer seiner Leitsätze. Wesentliche Ziele der Erstintervention im psychotherapeutischen Notfalleinsatz seien die Identifikation von Risikopersonen, die psychische Stabilisierung bei Angst, Schmerz und Schock, die Stressreduktion und die Stärkung der Selbstheilungskräfte und Ressourcen. Worauf sich ein Notfallpsychotherapeut vor Ort einstellen muss, machte Heidt mit seiner Ausrüstung und dem Notfallkoffer deutlich, der viele interessierte Fragen auf sich zog.

Die psychotherapeutische Akutversorgung im Rahmen Rettungsdienste ist gegenwärtig eine rein ehrenamtliche Tätigkeit, das machten alle Referenten einhellig klar. Möglichkeiten und Wege einer Aufwandsentschädigung müssten in jedem Einzelfall ausgelotet werden. Für eine Beteiligung an der Akutversorgung am Schadensort sei die Mitgliedschaft in einem der großen Wohlfahrtsverbände günstig, wodurch auch das eigene Risiko besser abgesichert sei.

Abschließend informierten Matthias Heidt und Werner W. Wilk über den Versorgungsweg bei Arbeitsunfällen. Die Behandlung unfallbedingter psychischer Störungen fällt in den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften haben dafür ein Modellverfahren entwickelt. Es hat zum Ziel, psychische Gesundheitsschäden nach Arbeitsunfällen frühzeitig zu erkennen und Ärztliche bzw. Psychologische Psychotherapeuten in die Behandlung einzubinden. Unfallverletzte mit manifesten psychischen Störungen sollen zeitgerecht und zügig eine Therapie als Rehabilitationsmaßnahme erhalten. Psychologische Psychotherapeuten können sich auf vertraglicher Basis daran beteiligen. Voraussetzungen dafür sind bestimmte Qualifikationsanforderungen - u.a. neben der Approbation eine dreijährige Klinische Tätigkeit. Im Rahmen eines solchen Vertrags verpflichtet sich der Leistungserbringer zur Anwendung wissenschaftlich gesicherter Diagnoseverfahren und leitliniengerechter Behandlungen sowie zur regelmäßigen Berichterstattung. Psychotherapeutische Leistungen, Berichte und auch die probatorischen Sitzungen werden nach dem Gebührenverzeichnis zum Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger honoriert. 

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