Psychotherapie bei Eltern und Kindern - 8. Jahreskongress Psychotherapie

Jedes Jahr erleben etwa drei Millionen Kinder die psychische Erkrankung eines Elternteils. Rund 175.000 Kinder machen pro Jahr die Erfahrung, dass ein Elternteil aufgrund einer psychischen Erkrankung stationär behandelt wird. Kinder von psychisch kranken Eltern haben deshalb eine erhöhte psychische Verletzlichkeit.

Der 8. Jahreskongress Psychotherapie in NRW hatte aus diesem Grunde in diesem Jahr das Thema „Psychotherapie bei Eltern und Kindern – Wirkungen und Nebenwirkungen“. Der Kongress, der mit knapp 400 Teilnehmern wieder ausgebucht war, ist eine gemeinsame Veranstaltung des Hochschulverbundes Psychotherapie NRW und der Psychotherapeutenkammer NRW.

Prof. Dr. Fritz Mattejat berichtete, dass knapp die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, die an der Philipps-Universität Marburg stationär behandelt werden, Eltern mit einer psychiatrischen Diagnose haben. Bei den Kindern, bei denen entweder Mutter oder Vater schizophren erkrankt sind, steigt das Risiko auch schizophren zu erkranken von ein Prozent (Gesamtbevölkerung) auf 13 Prozent. Wenn beide Eltern schizophren erkranken, beträgt das Risiko sogar 46 Prozent. Fast zwei von drei Kindern (61 Prozent) von Eltern mit einer schweren („major“) Depression entwickeln während Kindheit und Jugend eine psychische Störung. Die Wahrscheinlichkeit für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter ist bei depressiven Eltern um das 4-fache erhöht.

„Deshalb ist es wichtig, dass gerade Kinder von psychisch kranken Eltern vor Zusatzbelastungen geschützt werden“, stellte Prof. Mattejat fest. „Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Kinder von psychisch kranken Eltern leben häufiger unter besonders ungünstigen Rahmenbedingungen mit multiplen und schweren Belastungen.“ Zu diesen Belastungen gehören z.B. Desorientierung und Angst, weil die Kinder die Erkrankung der Eltern nicht einordnen und nicht verstehen können. Sie haben Schuldgefühle, weil sie glauben, ein Grund für die Erkrankung zu sein. Sie haben das Gefühl, mit niemandem darüber sprechen zu dürfen. In den Familien findet eine Verschiebung der Verantwortung statt: Die Kinder übernehmen die Elternrolle für die kranken Eltern. Kinder von psychisch kranken Eltern leben außerdem häufig in Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status und konfliktreichen Beziehungen von Vater und Mutter.

„Familien teilen Gene und Umwelt“, betonte Prof. Dr. Silvia Schneider von der Ruhr-Universität Bochum. Die klassische Methode, den jeweiligen Einfluss der beiden Faktoren zu untersuchen, seien Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien. Sie habe sich dagegen einmal die Frage gestellt: „Wirkt sich eine Therapie der Eltern auf die Psychopathologie des Kindes aus“?

In einer prospektiven Longitudinalstudie untersuchte die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin 48 Kinder, deren Eltern an einer Panikstörung litten. Dabei wurde die Gesundheit der Kinder von Eltern, die psychotherapeutisch behandelt wurden, mit der Gesundheit von Kindern, deren Eltern nicht behandelt wurden, verglichen. Bei den Kindern, deren Eltern nicht behandelt wurden, gab es einen deutlichen Anstieg an Ängstlichkeit, Panikanfällen und Depressionen. „Wir konnten unsere These bestätigen, dass das Elternhaus als Umweltfaktor die gesundheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen prägt“, fasste Schneider ihre Ergebnisse zusammen. Eine rechtzeitige Psychotherapie helfe nicht nur den Eltern, sondern auch deren Kindern. Dieser familiäre Einfluss sei auch umgekehrt zu belegen: Auch Eltern profitieren von einer psychotherapeutischen Behandlung ihrer Kinder. Zu den vermittelnden familiären Faktoren gehören nach Prof. Schneider wahrscheinlich „soziale Rückversicherung“ und „Modelllernen“.

Prof. Dr. Kurt Hahlweg von der TU Braunschweig berichtete insbesondere über präventive Interventionen bei Kindern psychisch kranker Eltern. Dazu gehören eine Verringerung von Partnerschaftskonflikten, eine Verbesserung der Eltern-Kind-Interaktion und der Erziehungsfertigkeiten der Eltern sowie eine altersgerechte Information der Kinder über die Störung der Eltern durch die Eltern. „Besonders destruktiv für Kinder sind fortgesetzte chronische Konflikte der Eltern“, erläuterte Prof. Hahlweg. „Insbesondere, wenn bei diesen Konflikten keine Versöhnung erfolgt, wenn die Kinder zum Konfliktinhalt werden und wenn sich die Eltern gewaltsam äußern.“ Bei Eltern mit jungen Kindern seien vor allem Elterntrainings (z.B. Triple P) ratsam. Im Rahmen einer Psychotherapie seien aber auch partnerschaftliche Lernprogramme (z.B. ELP) empfehlenswert. Der Einbezug von Angehörigen sei nach der Psychotherapie-Vereinbarung § 11 Absatz 9 möglich.

In einem Podiums-Workshop diskutierten drei Experten der Systemischen Therapie, der tiefenpsychologisch fundierten Therapie und der Verhaltenstherapie die Frage: „Wie relevant ist der Einbezug der Familie in der Psychotherapie von Erwachsenen und Kindern? - Konzepte und Praxis“. Dabei war man sich verfahrensübergreifend einig, bei psychisch kranken Kindern die Eltern so viel wie möglich einzubeziehen. Jugendliche legten dagegen häufig Wert darauf, dass die Eltern nicht hinzugezogen werden.

Prof. Silvia Schneider berichtete schließlich von einer Befragung der Mitglieder der Psychotherapeutenkammer NRW zu Kindern von Psychotherapiepatienten. Danach erkundigen sich 80 bis 90 Prozent der Befragten regelmäßig nach dem psychischen Wohlbefinden der Kinder, ob deren Versorgung gewährleistet ist und nach Problemen der Eltern mit ihrer Elternrolle oder ihrem Erziehungsverhalten. 60 Prozent der Psychotherapeuten fragen ihre Patienten (Eltern), ob sie über ihre psychische Störung mit ihren Kindern gesprochen haben. Jeder zehnte Psychotherapeut bezog die Kinder seiner erwachsenen Patienten direkt in die Psychotherapie ein. Bei systemischer Therapie waren dies sogar rund 70 Prozent der Therapeuten.

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