Informationsveranstaltung „Angestellte im Fokus“ am 24. Februar 2021

„Die neue Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ und „Psychotherapeutisches Arbeiten in Grenzbereichen“ lauteten die Schwerpunkte der diesjährigen, online durchgeführten Informationsveranstaltung „Angestellte im Fokus“ der Psychotherapeutenkammer NRW (PTK NRW) am 24. Februar 2021. Neben einem Überblick über den aktuellen Stand hinsichtlich der Reform der Weiterbildung wurde aufgezeigt, welche Perspektiven sich mit den Neuerungen für Tätigkeiten im Angestelltenbereich ergeben. Thematisiert wurde auch, wie die neue Weiterbildung sich in bestehende Strukturen im klinischen Bereich integrieren lassen könnte und welche Umsetzungsmodelle denkbar wären. Im zweiten Teil der Veranstaltung galt die Aufmerksamkeit zwei Tätigkeitsbereichen, die im Zusammenhang mit Psychotherapie seltener in den Blick genommen werden: Psychotherapie auf der Palliativstation und im Maßregelvollzug. Auch in diesem Jahr wurde der Fachtag federführend von dem Ausschuss Psychotherapie in Krankenhaus und Rehabilitation der PTK NRW ausgerichtet. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Georg Kremer, Vorsitzender des Ausschusses. Gut 200 Teilnehmende folgten den Vorträgen und nutzten die Gelegenheit, Fragen an die Referierenden zu richten.

Reform der Weiterbildung

Dr. Johannes Klein-Heßling, Referent der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) gab einen Überblick über das im September 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung und die Konzeption bzw. Ziele der neuen Weiterbildung. Es sei vorgesehen, dass die fünfjährige Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf ein Universitätsstudium mit Approbationsprüfung folge, in einem Altersgebiet bzw. in dem Gebiet „Neuropsychologische Psychotherapie“ stattfinde und zum Erwerb der Fachkompetenz in einem wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren führe. Nach erfolgreichem Abschluss könnten die neuen „Fachpsychotherapeutin“ bzw. „Fachpsychotherapeuten“ Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen.

Die Weiterbildung werde von der Profession selbst gestaltet, setze Normen und biete Perspektiven, erklärte Dr. Johannes Klein-Heßling. Sie könne neue Tätigkeitsfelder eröffnen, „vergessene“ Arbeitsbereiche wiederentdecken und qualifiziere den Berufsstand für Koordinierungsaufgaben, Leitungsfunktionen und neue Befugnisse. Ihre Umsetzung sei in Verbünden denkbar: Institute würden in diesem Modell gegebenenfalls Theorie und Selbsterfahrung für die gesamte Weiterbildung organisieren und Kooperationsvereinbarungen mit weiteren Weiterbildungsstätten schließen.

Da die Ausgestaltung der neuen Weiterbildung auf Landesebene erfolge, bundesweit jedoch möglichst einheitliche Strukturen wünschenswert seien, habe die BPtK 2019 das Kooperationsprojekt „Reform der Musterweiterbildungsordnung“ initiiert, informierte Dr. Johannes Klein-Heßling. Der Zeitplan für die Präzisierung der Musterweiterbildungsordnung, die Zulassung von Weiterbildungsstätten und die Anerkennung von Befugten durch die Landespsychotherapeutenkammern sei ehrgeizig: Bereits ab Herbst 2022 könnten die ersten approbierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihre Weiterbildung beginnen.

Angestellte in der Weiterbildung

Dr. Johannes Klein-Heßling stellte dar, dass die neue Weiterbildung für die gesamte Breite des Fachpsychotherapeutenstandards qualifiziere. Im (teil)stationären Bereich gehöre dazu beispielsweise, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in ihrer Weiterbildung die Kompetenz erwerben, Behandlungen von der Aufnahme bis zur Entlassung zu verantworten und das gesamte Spektrum von Erkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln, bei denen Psychotherapie indiziert sein kann. Hinsichtlich möglicher Tätigkeiten im institutionellen Bereich qualifiziere die neue Weiterbildung sie unter anderem dafür, psychotherapeutische Leistungen in den unterschiedlichen Bereichen zu verantworten und Leitungsaufgaben zu übernehmen. Ein grundsätzliches Ziel sei, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für die Mitarbeit „auf Augenhöhe“ im multiprofessionellen Team weiterzubilden.

Abschließend skizzierte der Referent der BPtK die Anforderungen an die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis für Kammermitglieder und die Aufgaben der Befugten. Den Erwerb der Weiterbildungsbefugnis und der damit verbundenen Weisungsbefugnisse bezeichnete er als Karriereschritt für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Abschließend wies Dr. Johannes Klein-Heßling darauf hin, dass die neue Weiterbildung die prekären Verhältnisse durch die bisherige Ausbildung beende: Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien in dieser Qualifikationsphase zukünftig als Angestellte in hauptberuflicher, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung tätig, mit Anspruch auf ein Tarifgehalt und weitere vertraglich geregelte Leistungen.

Tätigkeit in der psychiatrischen Akutklinik

Prof. Dr. Martin Driessen, Chefarzt des Evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), stellte am Beispiel der großen psychiatrischen Akutklinik die modellhafte Entwicklung von interdisziplinären Tätigkeitsprofilen auf den verschiedenen Qualifikationsebenen vor. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien dort als Stationsleitende tätig, in die Abteilungsleitungen eingebunden und als Arbeitsgruppenleitende in der Forschung tätig. Diese Struktur stärke die Position der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Klinik und mache die psychotherapeutischen Angebote besser sichtbar. Zu den Herausforderungen zähle neben der interdisziplinären Zusammenarbeit die Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen und Grenzen. Problematisch sei die fehlende tarifliche Abbildung von Leitungsfunktionen. Die Klinik regele das über außertarifliche Zulagen; es müsste jedoch eine tarifliche Grundlage hierfür geschaffen werden.

Die neue Weiterbildung ließe sich problemlos in diese Struktur integrieren und ermögliche Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, ihr Tätigkeitsprofil zu schärfen, so die Einschätzung des Chefarztes. Ein noch zu lösendes Problem sei jedoch die Frage, wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Weiterbildung finanziert werden. Eine volle tarifliche Weiterbildungsstelle werde durch die aktuelle Finanzierung der Krankenhäuser nicht ermöglicht. Trotz der unterstützenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik sei damit die Anzahl zukünftiger Stellen in den Kliniken unklar.

Mit Blick auf die Organisation der künftigen Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stellte Prof. Dr. Martin Driessen das derzeitige Modell der Klinik „Verbund ärztlicher Weiterbildung und psychotherapeutischer Ausbildung" vor. Ein künftiges Modell als separate Weiterbildung in der Klinik und in einem Weiterbildungsinstitut werte er als einen Bruch zwischen den Institutionen, der nicht im Sinne der Weiterbildung sei. Er votiere daher für die kooperative Weiterbildung in der Klinik und in einem Weiterbildungsinstitut, gesteuert von einem sowohl psychotherapeutisch als auch ärztlich besetztem Gremium. Seiner persönlichen Einschätzung nach würden die Weiterbildungskandidatinnen und -kandidaten ein solches kooperatives Modell präferieren, da es ihnen einen Weiterbildungsplatz in den Kliniken sichere. Außerdem könne man auf diese Weise die gesamte Weiterbildung in den Blick nehmen und die klinischen, ambulanten und theoretischen Weiterbildungsinhalte aufeinander abstimmen.

Palliative Psychotherapie

Sandra Schnülle, leitende Psychotherapeutin im Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn und im St.-Marien-Hospital Marsberg, gab in ihrem Vortrag „Denn alles ist vergänglich – Psychotherapie in Grenzsituationen“ einen Einblick in die Arbeit von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf einer Palliativstation. In der palliativen psychotherapeutischen Arbeit ginge es nicht um Heilen, sondern um Begleiten, betonte die Psychologische Psychotherapeutin. Dies erfordere einen anderen Blick auf den Menschen und eine besonders einfühlsame Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten und oft auch mit den Angehörigen. Die Beschäftigung mit Themen wie Symptomen und Belastung, Lebensbedrohung, Verlustempfinden, Abschiednehmen und Sinnfindung sei eine große Herausforderung, erweitere aber auch den eigenen Blick als Behandelnde oder Behandelnder, berichtete Sandra Schnülle mit Blick auf ihre eigenen Erfahrungen.

Das Hauptziel einer guten palliativen Begleitung sei, nicht das Sterben, sondern die verbleibende Lebensqualität in den Mittelpunkt zu stellen. Hierfür müssten physische, psychische, soziale und spirituelle Aspekte als die vier Säulen der „Palliative Care“ beachtet werden. Entsprechend bräuchte es eine multiprofessionelle Versorgung. Bislang sei die Einbindung von psychotherapeutischer Tätigkeit in die Palliative Care allerdings rechtlich nicht geregelt und insgesamt finde sie zu wenig statt, kritisierte Sandra Schnülle. Es sei wünschenswert, den psychotherapeutischen Bereich in den Stellenplänen konkreter zu verankern und mehr Möglichkeiten für Psychotherapie im Palliativbereich zu schaffen.

Strukturell sei die Palliativstation eine eigenständige Einrichtung in einem Krankenhaus. In der Regel auf 10 bis 14 Tage begrenzt würden Patientinnen und Patienten mit lebensbegrenzenden Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium aufgenommen. Neben vornehmlichen Zielen wie der Linderung von Beschwerden und der Stabilisierung seien Themen wie die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten oder die Organisation der weiterführenden Palliativversorgung relevant. Auch hieran werde deutlich, dass die palliative Arbeit eine gute Kooperation aller Professionen benötige, betonte die Referentin.

Psychotherapie im Maßregelvollzug

Die Psychologische Psychotherapeutin Natalia Morgunova stellte unter der Überschrift „Psychotherapeutisches Arbeiten im forensischen Kontext“ ihren Arbeitsalltag in der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne vor. Neben den juristischen und organisatorischen Rahmenbedingungen widmete sie sich ausführlich den Besonderheiten dieses Tätigkeitsbereichs im Vergleich zu anderen klinischen Bereichen. Dazu gehöre zuallererst das Doppelmandat der Behandelnden: Zum einen der Auftrag, das Gefährdungspotenzial der Patientinnen und Patienten zu verringern und die Allgemeinheit zu schützen, zum anderen die Aufgabe, die Patientinnen und Patienten langfristig zu einem straffreien, möglichst eigenständigen Leben innerhalb der Gesellschaft zu befähigen. Das heißt, der Behandlungsauftrag im Maßregelvollzug geht weit über den im psychiatrischen Krankenhaus hinaus.

Bei der großen Mehrheit der in der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne untergebrachten straffällig gewordenen Männer würden Diagnosen aus dem schizophrenen Störungskreis vorliegen, gefolgt von Persönlichkeitsstörungen. In der Behandlung orientiere man sich jedoch nicht allein an der Erkrankung. Im Zentrum stünden vielmehr die kriminogenen Faktoren, die zu der Tat geführt haben, und die individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit. Die Risikoanalyse, die Identifikation von Risikoeigenschaften und die Behandlungsplanung würden auf Basis individueller Delinquenzmodelle stattfinden, erläuterte Natalia Morgunova.

Weiterhin würden besondere Ansprüche an die psychotherapeutische Arbeit im Maßregelvollzug daraus erwachsen, dass viele Patientinnen und Patienten keine Krankheitseinsicht mitbringen und wenig zur Reflexion neigen. Die notwendige Motivation für die Behandlung müsse über eine gute Beziehung und eine transparente Kommunikation entwickelt werden. Insbesondere sei die einheitliche Haltung des verantwortlichen Teams erforderlich. In der oft Jahre andauernden therapeutischen Beziehung spiele zudem die Regulation von Nähe und Distanz stärker noch als in anderen psychotherapeutischen Arbeitsfeldern eine Rolle. Insgesamt seien Behandelnde im Maßregelvollzug beziehungsorientierte Ansprechpartner für Patienten bzw. Patientinnen und gleichermaßen involviert in die Kommunikation beispielsweise mit dem Gericht. Abschließend wies Natalia Morgunova darauf hin, dass in keinem anderen Bereich Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten so häufig in Leitungsfunktionen tätig seien, wie im Maßregelvollzug.

Wertvolle Impulse für die Zukunft

Gerd Höhner, Präsident der PTK NRW, dankte zum Abschluss der Veranstaltung dem Ausschuss Psychotherapie in Krankenhaus und Rehabilitation der Kammer für die Organisation des Fachtages „Angestellte im Fokus“ und den Referierenden für ihre Darstellungen. „Neben kompetenten Informationen zu der Etablierung der neuen Weiterbildung ist einmal mehr deutlich geworden, dass die Finanzierung der benötigten Weiterbildungsstellen in den Kliniken geregelt werden muss“, hielt er fest. „Die Einblicke in Nischen der psychotherapeutischen Arbeit haben die Vielfalt unseres Berufsfeldes untermalt und gezeigt, wie angestellte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in leitenden Positionen erfolgreich tätig sind. In der Summe können wir aus der heutigen Veranstaltung wertvolle Impulse mit in die Zukunft nehmen.“

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