Rückblick auf den großen Ratschlag „Klimaschutz“ am 15. November 2023

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Wie können sich der Berufsstand und die Kammer in der öffentlichen Diskussion und in der Politik mit den Belastungen und Folgen auseinandersetzen, die im Zusammenhang mit wachsenden Klimaproblemen auf die Gesellschaft zukommen? Wie kann die Profession fachlich und in der Versorgung mit diesen Themen umgehen? Diese Fragen standen beim großen Ratschlag „Klimaschutz“ der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen am 15. November 2023 im Fokus. Die Veranstaltung war von der Kommission Klimaschutz der Kammer federführend entworfen und vorbereitet worden und wurde von den Kommissionsmitgliedern mit moderiert. Rund 50 Kammerversammlungsmitglieder nutzten die Möglichkeit, im Rahmen des hybrid durchgeführten Ratschlags vor Ort in der Geschäftsstelle der Kammer und per Online-Zuschaltung die aufgerufenen Themen vielschichtig zu diskutieren.

„Es braucht einen verantwortlichen Blick in die Zukunft“

Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, ging in seiner Begrüßung darauf ein, dass die Kammer zahlreiche Presseanfragen erhalte, wie mit den Emotionen angesichts der Klimakrise umgegangen werden könne. Man befinde sich in einem „Lehrstück der psychischen Anpassung“ und die Profession müsse sich mit den spürbaren Unsicherheiten der Bevölkerung befassen. Es brauche einen verantwortlichen Blick in die Zukunft, betonte Gerd Höhner. Vor diesem Hintergrund sei es Aufgabe der Kammer und des Berufsstands, sich in die öffentliche Diskussion zu diesen Themen einzubringen und sich zu positionieren. Der große Ratschlag bilde einen Ausgangspunkt, um für die nächsten Jahre eine gemeinsame Arbeitslinie zum Klimaschutz zu entwickeln. Die gute Resonanz auf die Einladung zum großen Ratschlag spiegele das Interesse an der Thematik.

Andreas Pichler, Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen und im Vorstand mit dem Arbeitsthema Klimaschutz betraut, hielt einleitend fest, dass die Kammer die Aufgabe Klimaschutz sehr ernst nehme. Der Vorstand sei sowohl mit Blick auf die Landes- und Gesundheitspolitik als auch auf den beruflichen Kontext der Kammermitglieder aktiv geworden. (s. hierzu auch den Themenschwerpunkt Klima- und Umweltschutz  der Kammer). Mit dem großen Ratschlag wolle man in der Kammerversammlung das vorhandene Wissen zu Hintergründen und Fakten zum Thema Klimaschutz als Gesundheitsschutz vertiefen und eine Grundlage für anstehende Entscheidungen und Projekte schaffen. Den Mitgliedern der Kommission Klimaschutz dankte der Vizepräsident für ihr weitreichendes Engagement bei der Konzeption und der Durchführung der Veranstaltung.

Carla Cuvelier, Sprecherin der Kommission Klimaschutz, wies in ihrer Einführung darauf hin, dass die Gesamtheit der sozialökologischen Krisen die psychische Gesundheit massiv gefährde. Verbunden mit der Klimakrise, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit bezeichnet werde, würden viele Menschen Gefühle wie Trauer, Schuld, Scham, Angst oder Wut erleben. Als Heilberuf müsse man sich mit der Abgrenzung angemessener gesunder Emotionen gegenüber unangemessenen pathologischen Symptomen befassen. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien von den beschriebenen Gefühlen gegebenenfalls selbst betroffen. Dies fordere sie in ihrem beruflichen Handeln in besonderer Weise heraus, erklärte Carla Cuvelier. Die Muster-Berufsordnung halte als Berufspflicht für die Profession fest, sich an der Erhaltung und Förderung der ökologischen und soziokulturellen Lebensgrundlagen im Hinblick auf die psychische Gesundheit der Menschen zu beteiligen. Auf dieser Grundlage müsse man sich damit beschäftigen, wie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Kontext der Klimathemen auf Faktoren aufmerksam machen können, die seelische Erkrankungen begünstigen. Man sei gerade erst dabei, sich dieses Verantwortungsfeld zu erschließen. Gleichzeitig sei der Zeitdruck groß, Klimaschutz und damit Gesundheitsschutz voranzubringen. Der gemeinsame Austausch hierzu sei zentral, um hierbei Fortschritte zu erzielen.

Psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen infolge der Klimakrise

Prof. Dr. Julia Asbrand von der Friedrich-Schiller-Universität Jena unternahm in ihrem Vortrag, zu dem sie sich online einwählte, eine Bestandsaufnahme zu Klimathemen und Gesundheit und beschrieb die vielfältigen Folgen des Klimawandels für die psychische Gesundheit. Insbesondere blickte die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin auf die Situation junger Menschen. Viele seien durch den Klimawandel beunruhigt und würden Gefühle wie Angst, Wut oder Hilflosigkeit empfinden. Die Referentin beleuchtete, wie die Gesellschaft und die Profession mit den Herausforderungen der Klimathematik umgehen und ins Handeln kommen könnten. Der Schwerpunkt sollte dabei auf einer sinnfokussierten Problembewältigung, auf Gemeinschaft und sozialer Unterstützung liegen. Generell sei es wichtig, sich um eine niederschwellige psychische Gesundheitsversorgung mit Gruppenkonzepten und Prävention zu kümmern. Allein durch Einzeltherapie sei dem anzunehmenden Anstieg an psychischen Erkrankungen durch die Klimakrise nicht zu begegnen, so Prof. Dr. Julia Asbrand. Eine weitere Aufgabe sei, sich damit zu befassen, wie Klimathemen in der psychotherapeutischen Versorgung berücksichtigt werden können. Psychische Gesundheit sei zudem gesellschaftlich mehr in den Fokus zu rücken und ein gemeinsames Vorgehen durch Partizipation zu stärken. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten hätten in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle in einem oft zu kurz gedachten Gesundheitssystem. Sie seien Teil des Konzepts der planetaren Gesundheit und als Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aufgerufen, interdisziplinär zu arbeiten und Prävention und Resilienz zu fördern. Psychisch gesündere Gesellschaften seien besser gewappnet für zukünftige Krisen, betonte Prof. Dr. Julia Asbrand.

Von der Müdigkeit beim Wort ‚Klimakrise‘ und vom Aufwachen

Delaram Habibi-Kohlen, als Psychologische Psychotherapeutin niedergelassen in eigener Praxis in Bergisch Gladbach, ging der Frage nach, warum trotz seit vielen Jahren bekannter Fakten zu den Grenzen des Wachstums, trotz mahnender Stimmen zu den aktuellen Polykrisen und angesichts von Ereignissen wie der Flutkatastrophe im Erft- und Ahrtal immer noch nicht adäquat auf diese Entwicklung reagiert werde. Sie erläuterte Abwehrmechanismen und hob die Bedeutung langfristig gedachter Utopien hervor. Solchen Denkmustern stünde jedoch der individualisierte Freiheitsbegriff der Industriestaaten im Wege, der eine Welt unbegrenzter Möglichkeiten suggeriere. Der Kapitalismus habe sich tief in die Beziehungen hineingearbeitet. Die dadurch entstehende Individualisierung führe dazu, dass es an Rücksicht auf und Abstimmung mit anderen fehle. Dies würde Spuren in der Fähigkeit hinterlassen, sich auseinanderzusetzen, hielt Delaram Habibi-Kohlen fest. Notwendig sei ein Wertewandel und ein Brückenschlag zu einem neuen System, das wirtschaftlich, ökologisch und verteilungsgerecht agiere und das Gemeinwohl fördere. Dafür brauche es Think Tanks sowie ein gemeinschaftliches und politisches Nachdenken aller Menschen. Die Profession könnte hierbei ein Multiplikator sein und beispielsweise in Weiterbildungssysteme hineinwirken. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien zudem gefordert, sich selbst zu bilden und zur Klimakrise zu positionieren. „Wachwerden“ habe viel damit zu tun, aus der individualisierten Blase auszubrechen, so die Referentin. Wichtig sei, sich in Gruppen gemeinsam mit der Klimathematik zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen hierzu sei unerlässlich, um in ein längerfristig getragenes Handeln zu kommen.

Gesundheitspolitischer Handlungsbedarf mit Blick auf die psychische Gesundheit in der Klimakrise

Kathrin Macha, Vorstandsbeauftragte für Klimapsychologie der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, blickte auf den mit der Klimakrise einhergehenden gesundheitspolitischen Handlungsbedarf und welche Rolle der Berufsstand hierbei einnehmen könne. Grundsätzlich ginge es darum, die psychische Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu stärken und sich für eine klimagerechtere Gesellschaft einzusetzen. In ihrer Übersicht zeigte sie zentrale Arbeitsbereiche und konkrete Handlungsempfehlungen für die Profession auf. Als wichtige Aufgabe bezeichnete Kathrin Macha, psychische Gesundheit in Transformationsprozesse einzubinden. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten könnten sich dafür mit ihrem Fachwissen in den öffentlichen Diskurs einbringen. Sie seien geübt darin, mit Menschen zu kommunizieren und Veränderung zu begleiten. Dies ließe sich über das Therapiesetting hinaus nutzen. Eine andere wichtige Aufgabe liege darin, die psychosoziale Notfallversorgung zu verbessern. Ebenso gelte es die Bedarfsplanung anzupassen sowie das klassische Behandlungssetting unter anderem durch präventive Angebote weiterzuentwickeln. Dies könne zugleich die Versorgungsstrukturen entlasten. Als drittes zentrales Handlungsfeld beschrieb die Psychologische Psychotherapeutin die Verhältnisprävention. Hier seien Hitzeschutzkonzepte und die Anpassung von Forschung und Lehre auf die Erfordernisse der planetaren Gesundheit Beispiele. Schließlich müsse man Verhaltensprävention betreiben und unter anderem durch Öffentlichkeitsarbeit den Menschen vermitteln, wie sich psychischen Belastungen entgegentreten lässt. In der Summe gäbe es viele Ideen und Projekte der Profession, bilanzierte Kathrin Macha. Dennoch stecke man bei den Klimathemen noch in den Kinderschuhen. Weitere Anregungen seien willkommen, Zusammenarbeit und Austausch wesentlich. Auch Forschung zu verschiedenen Aspekten werde gebraucht.

Den Diskurs fortsetzen, Aufgaben der Kammer schärfen

Jeweils im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Kammerversammlungsmitglieder lebhaft zu den angesprochenen Themen und brachten Fragen und Anregungen ein. Auch kritische Stimmen fanden ihren Raum. Festgehalten wurde, dass die Profession sich Gedanken dazu machen müsse, wie das Thema Klimaschutz auf der Agenda verbleibe und fortlaufend reflektiert werden könne. Vizepräsident Andreas Pichler knüpfte in seinen abschließenden Worten daran an. Er betonte, die Kammer werde sich dafür einsetzen, den begonnenen Diskurs fortzuführen und die Aufgaben der Kammer im Themenspektrum Klimaschutz als Gesundheitsschutz weiter zu schärfen. Er dankte den Kammerversammlungsmitgliedern für ihr Interesse und die Mitwirkung, der Geschäftsstelle für die Organisation der Veranstaltung und der Kommission Klimaschutz für die inspirierende inhaltliche Begleitung durch die Veranstaltung.

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