Zukunft der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Psychiatrien in NRW

Eine verantwortungsvolle, an aktuellen wissenschaftlichen Standards orientierte Behandlung in der Psychiatrie ist zukünftig stärker psychotherapeutisch auszurichten. Psychotherapeuten müssten innerhalb der Institutionen entsprechend ihrer Qualifikation als eigenständiger Heil-beruf verankert und in verbindlichen Rahmenvorgaben der Personalstruktur berücksichtigt werden. Diese Aspekte prägten die Diskussion mit dem neuen Referatsleiter des Referats Psychiatrie des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) des Landes NRW auf der Veranstaltung der PTK NRW am 2. Juli 2014 in Dortmund. Eine Weiterentwicklung der Behandlungsqualität, wie sie politisch gefordert werde, sei ohne die Psychotherapie als eine tragende Säule des Behandlungsgeschehens undenkbar. Dieses gelte unabhängig vom Setting von Beginn der Behandlung an, auch für Störungen mit komplexem Behandlungsbedarf.

Nach einer kurzen Begrüßung durch den Vorsitzenden des Ausschusses Psychotherapie in Institutionen der PTK NRW, Herrn Rolf Mertens, als Moderator der Veranstaltung, erläuterte Vizepräsident Hermann Schürmann in seinem Eröffnungsvortrag, dass die psychiatrische Versorgung auf der Agenda der großen Koalition stehe und im Koalitionsvertrag auch an der Reform des Vergütungssystems festgehalten werde. Ziel sei, Verweildauern zu verkürzen, ohne Drehtüreffekte zu erzeugen oder schwerst psychisch Erkrankte zu benachteiligen. Somit zeichneten sich in diesem Bereich Veränderungen ab, die auch die Arbeit der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in den Psychiatrien unmittelbar betreffen werden. Multiprofessionell arbeitende Versorgungsnetzwerke mit psychotherapeutischer Grundhaltung würden diskutiert und seien fachlich zu begrüßen. Es fehlten hierzu aber verbindliche, bundeseinheitliche Rahmenvorgaben durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Regionalbudgets à la Schleswig-Holstein seien gute Beispiele für Rahmenbedingungen, in denen sich neue, innovative und flexible Strukturen unter der Koordination eines starken Payers bilden könnten. Die Integration der verschiedenen Sektoren (ambulant, teilstationär, stationär, komplementär) sei eine komplexe Aufgabe.

Zeitgleich werde über ein Pauschalierendes Entgeltsystem für Psychiatrie, die Reform des Psychotherapeutengesetzes und eine Reform der ambulanten Psychotherapeutischen Versorgung diskutiert und eine Positionierung der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu diesen Fragen gefordert. Dieses könne nur im engen Dialog innerhalb der Profession und mit der Politik geschehen. Die PTK NRW biete durch Veranstaltungen wie diese ein Forum, das zum Austausch, zur Meinungsbildung und Positionierung genutzt werden kann.

Jörg Holke, neuer Referatsleiter des Referats Psychiatrie im MGEPA, nahm dieses Angebot dankbar an und nutze die Gelegenheit, sich nach vier Monaten im Amt zunächst den Kammermitgliedern vorzustellen. Als langjähriger Geschäftsführer der Aktion psychisch Kranker e.V. sei er eng mit der Gemeindepsychiatrie und dem sektorenübergreifenden Gedanken in der Gestaltung von Versorgung für psychisch Erkrankte verbunden. Gerne stelle er den aktuellen Diskussionsstand zum Thema Psychiatrie aus Sicht seines Referates vor, sei aber auch daran interessiert, Impulse der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zum Thema mitzunehmen. Ministerin Steffens habe für die Jahre 2015/16 einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die integrative Gestaltung der psychiatrischen Versorgung gelegt.

In seinem Vortrag stellte Herr Holke die Vielschichtigkeit des Themas der Zukunft der psychiatrischen Versorgung, die für das Ministerium zentralen Aspekte der gegenwärtigen Diskussion und die unterschiedlichen Zuständigkeiten dar. Die Krankenhausplanung in NRW sei durch den im Juli 2013 vorgelegten Krankenhausrahmenplan NRW novelliert und sehe die Integration von Psychiatrie und Psychosomatik vor. Die Kapazitäten sollen um bis zu 10 % ausgebaut werden, gleichzeitig der Anteil tagesklinischer Behandlungsplätze auf etwa 25 % bis 30 % erhöht und so dem Grundsatz „ambulant vor teilstationär vor stationär“ gefolgt werden. Auch die sektorenübergreifende Vernetzung im Rahmen verbindlicher, trägerübergreifender Kooperationen (Gemeindepsychiatrischer Verbund) würde nun verbindlich eingefordert.

Zur Qualitätsdiskussion innerhalb der Psychiatrie stellte Herr Holke klar, dass auch hier zwar im Rahmenplan Impulse gesetzt worden seien, die Regelungshoheit jedoch nicht beim Land liege. Der G-BA sei aufgefordert Richtlinien aufzustellen, die die Psych-PV ersetzten und die Ausstattung der stationären Einrichtungen mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal zu definieren.

Für die Weiterentwicklung einer sektorenübergreifenden Versorgung nutze das Ministerium darüber hinaus ein gemeinsamen Landesgremium nach § 90 a SGB V, das aus Vertretern des Landes, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Landesverbände der Krankenkassen sowie der Ersatzkassen und der Landeskrankenhausgesellschaft gebildet werde. In NRW seien auch die Ärztekammern und die Psychotherapeutenkammer beteiligt. In zwei Arbeitsgruppen würde für den Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung derzeit ausgelotet, welche Handlungsfelder/-möglichkeiten auf Landesebene bestehen, um hier zu Verbesserungen zu kommen. Es stehe die Weiterentwicklung der ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung mit dem Schwerpunkt Psychotherapie einerseits und die sektorenübergreifende Versorgung mit dem Schwerpunkt IV-Verträge, Modellvorhaben (§ 64 b SGB V) und das Entlass- und Versorgungsmanagement andererseits auf der Agenda.

Am Ende seines Vortrages richtete Herr Holke den Blick auf die Schnittstelle zur medizinischen Rehabilitation in psychosomatisch-psychotherapeutischen Rehabilitationseinrichtungen und stellte fest, dass in NRW eine Unterversorgung im Bereich ambulanter medizinischer Rehabilitation bei schweren psychischen Erkrankungen zu verzeichnen sei und sich auch dahin die Bemühungen des Ministeriums richteten, diesem entgegen zu wirken.

Die anschließende engagierte Diskussion unter Beteiligung von Herrn Holke beleuchtete folgende Aspekte:

„Bedarf der Patienten berücksichtigen - Psychotherapie von Beginn an!“

Patienten der Psychiatrie erwarteten zu Recht eine wissenschaftlichen Standards entsprechende, leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung von Beginn der Behandlung an, auch im akuten Zustand. In diesem Zusammenhang stellte Herr Holke die Frage, wie man sich vor dem Hintergrund der immer kürzeren Behandlungszeiten, akut von bis zu drei Wochen, psychotherapeutisches Arbeiten vorstellen kann. Es wurde von psychotherapeutischer Seite daraufhin deutlich gemacht, dass gerade der Behandlungsbeginn eine sensible Phase sei, in der die Weichen für den späteren Behandlungserfolg gestellt würden. Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ihr Gegenüber die entsprechende Qualifikation habe. In jedem anderen medizinischen Bereich sei das selbstverständlich und klar. Psychotherapie finde auch in Kurzkontakten statt und sei nicht an Rahmenbedingungen gebunden, wie sie in der Psychotherapie-Richtlinie für die ambulante Versorgung zu finden sind. Psychotherapie sei stets ein theoriegeleitetes, zielgerichtetes Vorgehen in Gesprächsführung und Interaktion mit Patientinnen und Patienten. Diese Kompetenz liege bei den Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.

„Kein Diktat der Wirtschaftlichkeit in der Psychiatrie“

Von einigen Teilnehmern wurde kritisch aufgegriffen, dass eine wachsende Ökonomisierung der Versorgung in der Psychiatrie eingesetzt habe, die dazu führe, dass psychotherapeutisches Arbeiten aufgrund mangelnder Zeit und schwindender Personalausstattung zunehmend schwerer werde. Das passe nicht zu den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Bestrebungen, der sprechenden Medizin Vorschub zu leisten. Vor diesem Hintergrund wurde auch das Psychiatrieentgeltgesetz kritisch gesehen und in Frage gestellt, ob sich die Anforderungen an eine moderne Psychiatrie auf diese Weise realisieren lassen. Einige Kolleginnen und Kollegen betonten, im PEPP gar einen Rückschritt und die Gefahr zu sehen, dass unter wachsendem ökonomischen Druck Patientinnen und Patienten nicht mehr ausreichend versorgt werden können.

„Psychotherapeutengesetz – fehlende Regelung der psychotherapeutischen Berufe im Krankenhaus.

Grundsätzlich mangele es den Psychotherapeuten in den Kliniken nicht an fachlicher Kompetenz aber an formaler Autorität. Der Geburtsfehler des Psychotherapeutengesetzes dürfe sich nicht weiter fortsetzten. Sozialrechtlich geregelt sei bisher die Stellung der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im ambulanten, nicht aber im stationären Bereich. Damit würde die Tätigkeit von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten systembedingt erschwert. Aufgrund ihrer hohen Fachlichkeit sollten sie mehr Verantwortung übernehmen und die psychotherapeutische Versorgung in der Psychiatrie federführend und eigenständig gestalten können. Dieser systemimmanente Mangel führe im Alltag zu teils absurden Kompetenz- und Autoritätsstreitigkeiten mit den Ärzten und frustriere die Kolleginnen und Kollegen zunehmend. Hinzu käme eine damit einhergehende unbefriedigende Entlohnungssituation.

Herr Holke dankte den Anwesenden für die Diskussion und betonte, dass er die angesprochenen Aspekte in die weitere Diskussion mitnehmen werde.

Im abschließenden Teil der Veranstaltung nach der Kaffeepause und der Verabschiedung von Herrn Holke lud Vizepräsident Schürmann die Anwesenden zum Austausch darüber ein, wie der Einfluss der stationär arbeitenden Psychotherapeuten auf die Kammerpolitik gestärkt werden kann und wie man der Position der Profession mehr Sichtbarkeit verschaffen könne. Er stellte heraus, dass insbesondere der § 31 Abs. 2 des geltenden Krankenhausgestaltungsgesetzes NRW (KHGG NRW) die Möglichkeit einer Leitungsfunktion von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Abteilungen vorsehe. Dieses sei eine einmalige Regelung in einem Landeskrankenhausgesetz. Ebenso nannte er aus aktuellem Anlass den Regierungsentwurf der Landesregierung zur Novellierung des Krankenhausgestaltungsgesetzes (Drucksache 16/5412), der eine Beteiligung der PTK NRW im Landesausschuss Krankenhaus und neben der Einrichtung von Stellen für die ärztliche Weiterbildung auch Stellen für die psychotherapeutische Weiterbildung nach der Weiterbildungsordnung der PTK NRW im Krankenhaus vorsehe. Dieses sei das Ergebnis der überzeugenden Arbeit der psychotherapeutischen Berufe im Krankenhaus und einer erfolgreichen Interessenvertretung durch die Kammer.

Verschiedene Anregungen und Wünsche für die kammerpolitische Arbeit wurden seitens der Anwesenden vorgebracht und gesammelt. Zudem erklärten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Bereitschaft, sich zukünftig im Rahmen der kammerpolitischen Arbeit für die im Krankenhaus angestellten Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten verstärkt zu engagieren. 

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