Barrieren in der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung – Ein Workshopbericht

Im Gesundheitswesen existieren für Menschen mit Behinderung noch zu viele Hürden. Am 3. Juli 2013 diskutierten rund 20 Experten der Psychotherapeutenkammer NRW und der Ärztekammer Westfalen-Lippe, wie sich psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung barrierefrei gestalten lassen. Psychotherapeuten und Psychiater aus Niederlassung und Einrichtungen berieten gemeinsam mit Vertretern der Behinderten-Selbsthilfe NRW, welche Barrieren den Zugang von Menschen mit psychischen und physischen Behinderungen und einer psychischen Erkrankung den Zugang zu einer angemessenen Behandlung erschweren bzw. unmöglich machen. Auf dem Workshop in der Bodelschwinghschen Stiftung Bethel in Bielefeld wurde insbesondere der Wunsch nach einem Ausbau der Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote zu behinderungsspezifischen Aspekten sowie nach einer besseren Kooperation der Akteure vor Ort untereinander geäußert. Teilhabeorientierte Behandlungsstrukturen könnten sich jedoch nur dann nachhaltig weiterentwickeln, wenn auch die Vergütungsstrukturen entsprechend angepasst würden. Die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit sollen als Impulse in die laufenden Überlegungen zu den notwendigen Veränderungen in der Gesundheitsversorgung des Landes NRW eingebracht werden.

UN-Behindertenrechtskonvention

Die Barrierefreiheit in der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung ist eine zentrale Forderung aus der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).

Die Konvention ist am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getreten. Sie zeigt, was die bestehenden Menschenrechte für Menschen mit Behinderung bedeuten und wie sie in den unterschiedlichen Bereichen unserer Gesellschaft umzusetzen sind. Das Recht auf Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist das zentrale Menschenrecht. Die Konvention hat das Leitbild der sogenannten „Inklusion“. Das bedeutet: Nicht der Mensch mit Behinderung muss sich anpassen um „dabei“ sein zu können, sondern wir müssen alle gesellschaftlichen Bereiche seinen Bedürfnissen entsprechend anpassen und öffnen. Niemand darf ausgegrenzt werden. Die Bundesregierung und einige Bundesländer arbeiten an Aktionsplänen, in denen Maßnahmen beschrieben werden, die zur Umsetzung der Konvention notwendig sind (siehe Downloads).

Die Allianz der deutschen Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention (BRK-Allianz) hat einen „Parallelbericht“ vorgelegt, in der sie bedauert, dass „die Bundesregierung in ihrer Denkschrift den Umsetzungsbedarf an vielen Stellen relativiert“. Die BRK-Allianz kritisiert dies und betont den enormen Handlungsbedarf, der sich für Deutschland aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt. Zu den Forderungen der Allianz gehören z.B., dass die Zugänglichkeit von Praxen als Kriterium für die Zulassung und Nachbesetzung vorgesehen werden soll oder dass alternative Kommunikationsformen (Deutsche Gebärdensprache, lautsprachbegleitende und lautsprachunterstützende Gebärden) verwendet werden sollen.

Workshop-Ergebnisse

Zur Begrüßung der Teilnehmer des Workshops, der aus Experten der Ärzteschaft, der Psychotherapeutenschaft und der Angehörigenvertreter bestand, wiesen Monika Konitzer (Präsidentin der PTK NRW) und Dr. Theo Windhorst (Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe) darauf hin, dass gemeinsame Anstrengungen aller an der Versorgung von Patienten beteiligten Akteure im Gesundheitswesen nötig sein werden, um die Forderungen der UN-BRK umzusetzen. „Bitte helfen Sie mit, damit sich etwas ändert!“, forderte Dr. Windhorst die Anwesenden auf.

In seinem Einführungsreferat stellte Prof. Dr. Seidel (Ärztlicher Direktor der von Bodelschwinghschen Stiftung Bethel und Gastgeber des gemeinsamen Workshops) dar, dass vor allem einstellungsbedingte Barrieren und kommunikative und fachliche Zugangshindernisse in den regulären Versorgungsangeboten die Teilhabe von Menschen mit Behinderung erschweren.

Die Regelversorgung brauche zusätzliche, zielgruppenspezifisch spezialisierte Angebote als Ergänzung. In diesem Zusammenhang müsse eine Sicherstellung aufwandgerechter Leistungsvergütungen realisiert werden. Um das Ziel einer schnelleren und möglichst umfassenden Umsetzung der UN-BRK zu erreichen, forderte Prof. Dr. Seidel einen verbindlichen Aktionsplan für die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung: Die behindertengerechte Gestaltung der Versorgungsangebote muss selbstverständlich z.B. in Zulassungsverfahren und Zertifizierung eingebunden werden. Auch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen diese Aspekte Beachtung finden und zusammen mit der Förderung von Forschung zu behinderungsspezifischen Versorgungsaspekten gezielt ausgebaut werden.

Dr. Willibert Strunz (Geschäftsführer der LAG-Selbsthilfe NRW) stellte in der Diskussion deutlich heraus, dass die Betroffenen und Angehörigen bei der (Neu-)Gestaltung von Versorgungsangeboten oder bei möglichen Strukturreformen unbedingt einzubeziehen sind. Die Nutzerperspektive müsse der Ausgangspunkt für die Überlegungen und die Beteiligung der Nutzer an geplanten Veränderungen ausreichend gewährleistet sein.

In der gemeinsamen Arbeit des Workshops stellten die geladenen Experten auf drei Ebenen (Leistungserbringer, Selbstverwaltung, Gesundheitspolitik) Problembeschreibungen und Forderungen zusammen. Besonders deutlich wurde der Wunsch nach einem Ausbau der Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote zu behinderungsspezifischen Aspekten sowie nach einer besseren Kooperation der Akteure vor Ort. Insbesondere wurde eine Verbesserung der Kooperation ambulanter, stationärer, komplementärer Angebote und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst gefordert. Kritisiert wurde die fehlende Datenbasis, die Ausgangspunkt für gezielte System-Veränderungen zugunsten der Nutzer sein sollte und dass teilhabeorientierte Behandlungsstrukturen sich nur dann nachhaltig weiterentwickeln könnten, wenn auch die Vergütungsstrukturen entsprechend angepasst würden. Von allen Teilnehmern wurde letztlich festgestellt, dass Anstrengungen immer vom Nutzer ausgehen müssen und regionalen Charakter haben sollten. Vor einer verordneten „Inklusion“ wurde allseits gewarnt. Notwendigen Veränderungen können nur mittels gemeinsamer Anstrengung der vorhandenen Akteure vor Ort geschafft werden. Bereits bestehende und funktionierende Strukturen sollten integriert und dürften nicht zerstört werden. 

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