Der 21. Jahreskongress Psychotherapie am 8. und 9. November 2025 beleuchtete Zusammenhänge zwischen Körper und Psyche

Was weiß die Forschung über die Wechselwirkungen zwischen physischer und psychischer Gesundheit oder Krankheit – und was ergibt sich daraus für die psychotherapeutische Tätigkeit? Mit drei Fachreferaten und einer Podiumsdiskussion eröffnete der 21. Jahreskongress Psychotherapie „Wissenschaft & Praxis” in Bochum am 8. November 2025 den thematischen Rahmen.

Die Teilnehmenden erwartete ein vielseitiges Programm: Ausgerichtet vom Hochschulverbund Psychotherapie NRW und der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen bot die Veranstaltung über zwei Tage insgesamt 54 praxisnahe, verfahrensbezogene und verfahrensübergreifende Workshops zur psychotherapeutischen Arbeit mit Menschen aller Altersstufen. Rund 300 Teilnehmende kamen dafür im Europäischen Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ) zusammen. Durch den Eröffnungsvormittag führte PD Dr. André Wannemüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungs- und Behandlungszentrums (FBZ) für psychische Gesundheit der Ruhr-Universität Bochum.

Psychotherapeutische Intervention im somatischen Bereich ausbauen

Kongressleiterin Prof. Dr. Silvia Schneider betonte in ihrer Begrüßung, dass der diesjährige Kongress mit dem Schwerpunkt „Körper und Psyche” ein Thema in den Mittelpunkt rücke, das am Rande der klassischen Psychotherapie verortet sei, für den Berufsstand aber große Bedeutung habe. In ihrer Zusammenarbeit mit den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung (DZG) erlebe sie, dass psychologische und psychotherapeutische Interventionen – etwa im Kontext von Krebs- oder Lungenerkrankungen – als hoch relevant eingeschätzt würden. Es sei eine wichtige Aufgabe, diesen Bereich deutlich weiter auszubauen, um mehr über die Zusammenhänge von körperlicher und psychischer Gesundheit zu erfahren und die Ergebnisse in der Praxis nutzen zu können, hielt die Direktorin des FBZ für psychische Gesundheit fest.

Wachsendes Aufgabenfeld für die Profession

Andreas Pichler, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, wies in seinen begrüßenden Worten darauf hin, dass der Zusammenhang von Körper und Psyche schon seit jeher eine Rolle spiele, was etwa auch ein Blick in die Historie psychotherapeutischer Traditionen zeige (z.B. hinsichtlich körperpsychotherapeutischer Methoden und Techniken); so seien z.B. Techniken wie Entspannungsverfahren, imaginative Körperreisen u.v.m. in die Richtlinien-Psychotherapie integriert. Der Berufsstand habe in neuerer Zeit zudem Weiterbildungsmöglichkeiten für Psychotherapie bei Diabetes und Schmerz geschaffen. In anderen medizinischen Bereichen – darunter Onkologie, Kardiologie oder Dermatologie – leiste Psychotherapie ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung körperlicher Erkrankungen und helfe im Umgang mit chronischen Krankheitsverläufen. Entsprechend werde die Profession auch in allgemeinen Krankenhäusern und Fachabteilungen gebraucht, betonte Andreas Pichler. Darüber hinaus spiele Prävention eine große Rolle. Die Landesinitiative Gesundheitsförderung und Prävention Nordrhein-Westfalen beispielsweise, an der sich die Kammer beteilige, befasse sich aktuell mit dem Thema Bewegung als Beitrag zur Gesunderhaltung. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten könnten hier viel beitragen, etwa im Bereich Motivationsförderung.

Persistierende Körperbeschwerden besser behandeln

Persistierende Körperbeschwerden in der Psychotherapie – Von zentralen Mechanismen zu wirksamen Behandlungen” lautete das Vortragsthema von Prof. Dr. Michael Witthöft. Der Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie und Psychotherapie am FBZ der Ruhr-Universität Bochum beschrieb, dass persistierende Körperbeschwerden weit verbreitet und mit einer hohen Krankheitslast verbunden seien. In der Forschung seien sie bislang überwiegend jedoch biomedizinisch und isoliert in Fachbereichen betrachtet worden. Um den blinden Fleck zu überwinden und sie besser verstehen und behandeln zu können, sei zum einen nützlich, über Modelle zentral wirksame Faktoren herauszuarbeiten. Zum anderen sei es hilfreich, Mechanismen und Prozesse der Wahrnehmung zu erforschen, die entsprechende Körperphänomene erzeugen oder verstärken können, so der Wissenschaftler. Beides liefere Hinweise auf wirksame Behandlungsansätze in der Psychotherapie.

Leibhaftige Psyche: Perspektiven auf körperliches und seelisches Erleben

Den Blick auf die Trennlinie zwischen Körper und Psyche lenkte Prof. Dr. Timo Storck von der Psychologischen Hochschule Berlin. Er stellte die Frage, wie tragfähig die etablierte Unterscheidung zwischen „psychogen“ und „somatogen“ für das klinische Arbeiten tatsächlich sei – oder ob sie nicht vielmehr den Blick auf zentrale psychosomatische Dynamiken verstelle. Sein Fazit: Die hergebrachte Aufteilung zwischen Körper und Psyche verdecke oft mehr, als sie erkläre. Vor diesem Hintergrund erläuterte der Experte, wie ein Verlust psychosomatischer Verbundenheit im Krankheitsgeschehen zu Störungen in der Vermittlung zwischen Empfindung und mentalem Erleben führen kann. Im weiteren Verlauf seines Vortrags wurde deutlich, wie frühe Beziehungserfahrungen das Verhältnis zum eigenen Körper prägen und daraus Muster psychosomatischer Belastung entstehen. Therapeutisch sei daher zentral, eine Sprache und eine dialogische Haltung zu fördern, um die Verbindung zwischen körperlichem und psychischem Erleben wieder zugänglich zu machen, hielt Prof. Dr. Timo Storck fest.

Chronische Erkrankungen und psychische Dynamik

Wie dauerhafte Beschwerden und psychische Entwicklung miteinander verwoben sind, zeigte im Anschluss Prof. Dr. Petra Warschburger. Die Lehrstuhlinhaberin für Beratungspsychologie der Universität Potsdam machte deutlich, wie stark chronische Erkrankungen den Alltag von Kindern und Jugendlichen strukturieren: Medizinische Routinen, emotionale Belastungen und soziale Einschränkungen würden hier kontinuierlich ineinandergreifen. Studien ließen erhöhte Angst- und Depressionsraten, zugleich aber auch Resilienz-Potenziale erkennen, die therapeutisch genutzt werden könnten. Prof. Dr. Petra Warschburger verwies auf die enge Wechselwirkung zwischen psychischem Befinden, Gesundheitsverhalten und Krankheitsverlauf und plädierte für die frühzeitige psychosoziale Begleitung sowie systematische Screenings im medizinischen Setting. Interventionen sollten Selbstmanagement, Wissen und Akzeptanz stärken und verhindern, dass die Erkrankung zum dominanten Identitätsanker für Betroffene werde. Damit, so die Wissenschaftlerin, wachse der Bedarf an spezifischer Qualifizierung. Zugleich müssten Versorgungsangebote ausgeweitet werden.

Ein Plädoyer für interprofessionelle Zusammenarbeit

Die anschließende Diskussion bot Raum für einen regen Austausch. Rückfragen und Kommentare von Kongressteilnehmenden betonten die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit, die sensible Ausgestaltung präventiver Angebote und ein interprofessionelles Miteinander, das Körper und Psyche systematisch zusammendenkt. Als gemeinsamer Tenor kristallisierte sich heraus: Frühe Kooperation und integrative Erklärungsmodelle seien zentral, um Versorgungslücken zu schließen und einseitige Therapieansätze durch eine ganzheitliche Sicht zu ersetzen.

Der 22. Jahreskongress Psychotherapie „Wissenschaft & Praxis“ findet am 10. und 11. Oktober 2026 statt. Nähere Informationen werden auf der Website des Hochschulverbunds Psychotherapie NRW bekannt gegeben [externer Link].

Meldungen abonnieren