Mehr Befugnisse für Psychotherapeuten? Tagung am 19. März in Köln

Seit geraumer Zeit diskutiert die Profession, ob die verbliebenen sozialrechtlichen Unterschiede zwischen Psychotherapeuten und Ärzten nicht beseitigt werden sollten. Psychotherapeuten dürfen bisher nicht an Fachärzte oder in ein Krankenhaus überweisen, keine Heilmittel verordnen und nicht krankschreiben. Ob sich dies nicht in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ändern soll, diskutierten Kammermitglieder auf einem Workshop am 19. März in Köln.

Präsidentin Monika Konitzer erläuterte einführend, dass in den vergangenen Jahren in der Mitgliedschaft immer wieder die Frage aufgekommen sei, wieso die sozialrechtlichen Befugnisse von Psychotherapeuten vom Gesetzgeber überhaupt eingeschränkt worden seien. Die Kollegen in Krankenhäusern forderten schon lange, die sozialrechtlichen Hemmnisse für die Übertragung von Leitungsverantwortung in Krankenhäusern an Psychotherapeuten zu beseitigen, die bereits im Krankenhausgesetz NRW vorgesehenen ist. Auch das Forschungsgutachten zur Psychotherapeutenausbildung habe sich mit der Erweiterung der Befugnisse für die Psychotherapeuten befasst. Die Kammerversammlung habe im März 2009 den Vorstand beauftragt, eine Diskussion um die damit verbundenen fachlichen und rechtlichen Fragen vorzubereiten.

Im Einzelnen gehe es um die Berechtigung:

  • Heilmittel zu verschreiben (Ergotherapie, Logopädie, Soziotherapie),
  • in stationäre psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung einzuweisen (ggf. notwendige Zwangseinweisung gemäß PsychKG),
  • zum Facharzt zu überweisen,
  • Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen und
  • Psychopharmaka zu verordnen.

Barbara Lubisch, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer NRW, erinnerte daran, dass Erika Behnsen, Ex-Ministerialrätin im Bundesgesundheitsministerium und wesentliche Mitgestalterin des Psychotherapeutengesetzes, auf einem BPtK-Symposium 2009 in Hannover gefragt hatte, ob zehn Jahre Bewährung in der vertragsärztlichen Versorgung nicht genug seien, um den Psychotherapeuten endlich die vollen sozialrechtlichen Befugnisse zuzugestehen, damit sie eine psychische Krankheit auch umfassend behandeln könnten. Lubisch erläuterte, dass Befürworter einer sozialrechtlichen Gleichstellung der Psychotherapeuten auch argumentierten, dass bisher Patienten zu Ärzten geschickt werden müssten, wenn sie arbeitsunfähig seien oder in ein Krankenhaus eingewiesen werden müssten. Zudem seien die sozialrechtlichen Befugnisse auch ein Indikator für die Stellung von Psychotherapeuten im Gesundheitswesen. Skeptiker befürchteten dagegen auch schädliche Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung.

Dr. Martin Stellpflug, Justitiar der Bundespsychotherapeutenkammer, referierte über die rechtlichen Grundlagen der bisherigen Beschränkungen für Psychotherapeuten. Durch eine Ausschlussklausel im § 73 Abs. 2 SGB V sei den Psychotherapeuten verwehrt, Heilmittel, Soziotherapie oder Krankenhausbehandlung zu verordnen sowie Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. Überweisungen seien nur im Rahmen des Konsiliarverfahrens möglich, was im Bundesmantelvertrag geregelt sei. Die Verordnung von Soziotherapie sei in den entsprechenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses geregelt und Ärzten für Psychiatrie oder Nervenheilkunde vorbehalten. Die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses bei der Unterbringung von Patienten gemäß PsychKG sei in Nordrhein-Westfalen nur Ärzten mit „Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie“ erlaubt. Diesbezügliche  Regelungen seien Ländersache.

Stellpflug erläuterte die Haftungsfragen bei Behandlungsfehlern und Aufklärungsfehlern. Zu einer umfassenden Aufklärung gehöre schon heute, den Patienten über die eingeschränkten Befugnisse des Psychotherapeuten zu informieren. Auch bei einer Befugniserweiterung müsse sich der Psychotherapeut bei seinen Entscheidungen an den „aktuell geltenden medizinischen Standards“ orientieren. Allerdings sei das Haftungsrisiko begrenzt, da z.B. bei der Einweisung ins Krankenhaus stets eine Überprüfung durch den aufnehmenden Krankenhausarzt erfolge. Bei der Arbeitsunfähigkeit gehe es um die „sachgerechte Einschätzung des Krankheitszustandes im Hinblick auf die konkret ausgeübte Tätigkeit“. Die Einschätzung könne vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen überprüft werden.

Abschließend stellte der Justitiar der Bundespsychotherapeutenkammer die Frage, ob sich aus einer Befugniserweiterung ein Zwang ergebe, diese Befugnisse auch zu nützen. Hier komme es im Wesentlichen darauf an, ob die erweiterten Befugnisse zum „Kern der psychotherapeutischen Tätigkeit“ gehörten. Dann müsse ein zugelassener Psychotherapeut diese auch vorhalten. Etwaige Ausnahmen, wie z.B. bei der Analytischen Psychotherapie gefordert, müssten seines Erachtens explizit im Bundesmantelvertrag geregelt sein. Entsprechende Ausnahmeregelungen gebe es schon für die Vertretung von Psychotherapeuten.

In der anschließenden Diskussion wurde hervorgehoben, dass entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten der Psychotherapeuten heute schon im Gesundheitssystem genutzt würden. Auf Befunde von Psychotherapeuten zur Arbeitsfähigkeit, würde bereits jetzt gerne z.B. von Hausärzten zurückgegriffen, da Psychotherapeuten den Patienten meist besser kennen. Auch gäbe es häufige informelle Kooperationen zwischen Ärzten und Psychotherapeuten, in denen Ärzte z.B. nach Rücksprache die Krankschreibung oder die Verordnung von Medikamenten übernehmen. Eine Befugniserweiterung dokumentierte diese Verantwortung, die Psychotherapeuten bereits jetzt übernehmen und würde dem Patienten überflüssige Wege ersparen.

Anschließend nahmen Vertreter von Fachgesellschaften zur Frage, inwieweit eine Befugniserweiterung Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung haben könnte, Stellung. Dr. Felix Hoffmann, Geschäftsführer der DGPT (Fachgesellschaft der Psychoanalytiker) wies darauf hin, dass jeder Eingriff in das Leben des Patienten in Konflikt mit dem psychoanalytischen Abstinenzgebot stünde. Insbesondere im Rahmen der Analytischen Psychotherapie sollten diese unterlassen werden, genauso wie ein psychoanalytisch tätiger Arzt seine Patienten nicht körperlich untersuche, sondern an einen Kollegen verweise. Er verwies zudem darauf, dass aus einer Kompetenzdebatte im Rahmen der Ausbildungsreform nun eine Befugnisdebatte geworden sei, in der eine Statusveränderung der Psychotherapeuten im Vordergrund stünde. Insgesamt gesehen sei eine Mehrheit der Mitglieder der DGPT gegen eine Befugniserweiterung.

Anni Michelmann, Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie e.V. (DGSF), war es besonders wichtig, zu betonen, dass in der Systemischen Therapie eine Verordnung auf einer gemeinsamen Entscheidung von Patient und Therapeut basieren solle. Die Systemische Psychotherapie beziehe von Anfang an die konkrete Lebenssituation des Patienten mit ein, deshalb sei eine Befugniserweiterung ein Zugewinn an therapeutischen Möglichkeiten.

Dr. Jochen Maurer von der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie  e.V. (DGVT) betonte, dass es in der DGVT zu dieser Frage noch keine endgültige Positionierung gäbe. Allerdings befürworte die DGVT die Befugniserweiterung als ergänzende „Interventionsbausteine“, die in einem Gesamtbehandlungskonzept die Kooperationen mit anderen in der Krankenbehandlung Beteiligten fördern könnte. Es genüge nicht, sich auf die originäre psychotherapeutische Tätigkeit zu konzentrieren, sondern es sollten auch weitere Unterstützungsmöglichkeiten bedacht und zum Zwecke der Genesung des Patienten einbezogen werden.

Peter Liebermann, EMDRIA (Fachverband der Anwender von EMDR) stellte in den Vordergrund, dass bei der Versorgung von traumatisierten Menschen häufig nicht allein Psychotherapie indiziert sei, sondern auch anderweitige ärztlich-somatische Behandlungen. Deshalb spiele die Koordination der Behandlung, die durch den Arzt erfolge,  eine große Rolle. Der Vorstand von EMDRIA sehe deshalb keine Notwendigkeit zur Befugniserweiterung hinsichtlich Krankschreibung und Krankenhauseinweisung. Es solle den Ärzten vorbehalten werden, aufzuklären, ob wirklich alle ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Lediglich eine Einweisung in Psychosomatische Kliniken könne man sich u.U. vorstellen.

Dr. Karin Schoof-Tams (Gesellschaft für Neuropsychologie e.V.) befürwortete die Befugniserweiterung, da damit die Übernahme von Leitungsfunktionen in Kliniken durch Psychologische Psychotherapeuten gefördert würde.

Frau Engel von der GWG betonte, dass in der Gesprächspsychotherapie ressourcenorientiert gearbeitet werde. Es gehe um die Stärkung der Selbstheilungskräfte des Patienten. Es sei deshalb eine sorgfältige Abwägung notwendig, ob symptombezogene Interventionen notwendig seien. Grundsätzlich sei eine Befugniserweiterung der Psychotherapeuten im Interesse der Klienten, weil sie jedoch eingreifend sei, brauche sie in jedem Falle eine besondere Begründung. Eine Befugniserweiterung fordere die Kongruenz des Psychotherapeuten heraus, er müsse schließlich Farbe bekennen, wenn es z. B. um die Krankschreibung gehe.

In der anschließenden Diskussion stellte Monika Konitzer den Aspekt der verantwortlichen Krankenbehandlung in den Vordergrund. Er habe bei allen Stellungnahmen im Vordergrund gestanden, wenn auch mit unterschiedlichen Konsequenzen. Aus ihrer Sicht gehe die Einschränkung der Befugnisse im wesentlichen zu Lasten der Patienten, ihnen würden, anders als somatisch Kranken, zusätzliche Hürden zugemutet. Dies sei nicht länger tolerierbar.

Zum Abschluss thematisierte Dieter Best, Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, die „Anforderungen an Psychotherapeuten unter Versorgungsaspekten“. Er verwies zunächst auf die Zunahme von psychischen Erkrankungen, insbesondere auf die chronifizierten, die einen hohen Behandlungs- und Betreuungsaufwand erforderten. Hier sei in Zukunft der Psychotherapeut auch als „Case Manager“ gefragt. Zudem verschärfe sich der Ton in der Konkurrenz zu den Psychiatern, die immer häufiger die Versorgung psychisch Kranker für sich beanspruchten. Die Forderung nach einer Befugniserweiterung könne man jedoch in der Politik nur durchzusetzen, wenn man nachweisen könne, dass dadurch die Versorgung der Patienten verbessert werde.

In der Frage der Befugniserweiterung gelte es auch durch eine Gesetzesänderung zu erreichen, dass Psychotherapeuten die Leitung von Krankenhäusern übernehmen könnten, in denen psychisch kranke Menschen behandelt würden. Entsprechende Regelungen fänden sich jetzt im Entwurf eines neuen Krankenhausgesetzes für Rheinland-Pfalz, die noch weitergehender seien als die entsprechende Regelung in Nordrhein-Westfalen. Die DPTV wolle entsprechende Vorschläge in die Diskussion um die nächste Gesundheitsreform einbringen.

Resümierend stellte Barbara Lubisch am Ende der Veranstaltung fest, dass die Frage der Befugniserweiterung weiter verfolgt werden müsse, da sie im Interesse der Patienten sei - innerhalb der Profession jedoch weiter kontrovers diskutiert werde. Sie dankte den Beteiligten für die differenzierte Argumentation, die sicher in die weitere Beratung des Vorstands zu dieser Thematik eingehen würde. 

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