Psychotherapie und Migration

Bericht der PTK-Veranstaltung am 30./31. Oktober 2009 in Düsseldorf

Wie begegne und behandele ich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, wenn sie unter psychischen Störungen leiden? Welche Bedeutung haben Alltag und Lebensraum? Das waren zentrale Fragen auf der Fortbildung „Psychotherapie im interkulturellen Setting“, die die Psychotherapeutenkammer NRW und das Psychosoziales Zentrum (PSZ) für Flüchtlinge am 30. /31. Oktober 2009 in Düsseldorf veranstalteten.

Aufgrund des steigenden Bevölkerungsanteils mit Menschen, die in Deutschland zugewandert sind, ist Psychotherapie im transkulturellen Setting zukünftig eher die Regel als die Ausnahme, stellte Monika Konitzer, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer NRW, in ihrer Begrüßung fest. „Das Gesundheitswesen muss diesem besonderen Bedarf gerecht werden und das Angebot von Psychotherapeuten mit interkulturellen Kompetenzen ausbauen“, forderte sie.

Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung in NRW hat eine Zuwanderungsgeschichte, berichtete Anton Rütten, Leiter der Gruppe Integration im Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Er wies darauf hin, die Heterogenität dieser Menschen zu beachten. Darunter seien z.B. Türken, die in zweiter und dritter Generation in Deutschland lebten und bereits hier sozialisiert seien und deutsche Spätaussiedler, für die die deutsche Sprache eine Fremdsprache sei, die sie erst erlernen müssten. Dieser veränderten Vielfalt müsse sich nicht nur die Politik, sondern auch die Berufsgruppe der Psychotherapeuten stellen, betonte Eva van Keuk, vom PSZ Düsseldorf. Die „Landkarte“ habe sich verändert, die fachlichen Routinen in der psychologischen Praxis müssten sich darauf einstellen.

Dr. Ljiljana Joksimovic von den Rheinischen Kliniken Düsseldorf, referierte epidemiologische Untersuchungen über psychische und psychosomatische Folgen der Migration. Die Datenlage ist lückenhaft, insbesondere die Rolle individueller Ressourcen und der Bedeutung protektiver und salutogenetischer Faktoren sei kaum untersucht. Es überrasche kaum, dass es zu interkulturellen Missverständnissen komme, so Dr. Ali Kemal Gün von den Rheinischen Kliniken Köln, der Auswertungsergebnisse von Patienten- und Therapeuteninterviews vorstellte: „Der Anspruch der Gleichbehandlung aller Klienten führt zur Ungleichbehandlung von Migranten. Es besteht die Gefahr, die Sensibilität für die Individualität und Unterschiedlichkeit aus den Augen zu verlieren und damit kulturelle Besonderheiten und Erwartungen zu ignorieren.“ In den Luxus, sprachliche Besonderheiten beachten zu können, kommen indes nur wenige Kollegen. Nach wie vor gehöre der Einsatz von Dolmetschern bei Sprachbarrieren nicht zur Regel in der psychotherapeutischen Behandlung, so Monika Schröder von den Rheinischen Klinken Düsseldorf. „Selbst für die erste Diagnostik müssen die Kosten mit den Krankenkassen immer wieder neu verhandelt werden.“

Dem kultursensiblen Vorgehen bei Diagnostik und Behandlung, den Fremdheitsgefühlen und Irritationen in der professionellen Beziehungsgestaltung widmeten sich die Vorträge von Ibrahim Özkan (Asklepios Fachklinikum Göttingen), Dr. Barbara Abdullah-Steinkopff (REFUGIO München), Eva van Keuk und Cinur Ghaderi (Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf). Integrations- und sprachliche Kommunikationsfähigkeit des Patienten seien häufig unausgesprochene Vorannahmen in der Therapie. Obwohl das Verstehen des Befremdlichen eine psychotherapeutische Kernkompetenz ist, können kulturell „fremde“ Patienten sehr oft Unsicherheiten und Abwehrreaktionen auslösen. Kultursensibles Vorgehen beginne mit der Achtsamkeit sowohl für die eigene soziokulturelle Eingebundenheit als auch für die individuellen und kulturellen Besonderheiten des Patienten. Von der Vorstellung einer kulturspezifischen Psychotherapie müsse man sich lösen, genauso wie von der einer kulturneutralen.

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