Rückblick auf die Regionalversammlung für den Regierungsbezirk Arnsberg am 14. September 2022

Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen hatte die Kammerangehörigen im Regierungsbezirk Arnsberg für den 14. September 2022 zu einer Regionalversammlung eingeladen. An die 60 Interessierte hatten sich zu der in Präsenz in Dortmund durchgeführten Veranstaltung angemeldet. Auf der Tagesordnung standen gesundheitspolitische Perspektiven und die Aktivitäten der Kammer auf Landes- und Bundesebene. Die regelmäßig durchgeführten Regionalversammlungen bieten den Kammermitgliedern über aktuelle Informationen hinaus einen Rahmen, sich an der berufspolitischen Diskussion zu beteiligen und mit Vorstandsmitgliedern, Kolleginnen und Kollegen in den Austausch zu kommen.

Defizite in der Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen

Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, begrüßte die Teilnehmenden, darunter Vizepräsident Andreas Pichler und die Vorstandsmitglieder Cornelia Beeking, Bernhard Moors, Hermann Schürmann und Birgit Wich-Knoten. In seinen Ausführungen ging er darauf ein, dass seit vielen Jahren eine hohe und steigende Nachfrage nach psychotherapeutischen Angeboten bestehe, insbesondere im ambulanten Bereich. Der Vorstand der Kammer sei mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) NRW und den Kassenärztlichen Vereinigungen beider Landesteile seit längerem im Gespräch darüber, wie viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für eine ausreichende Versorgung benötigt werden. Der wahre Bedarf an Psychotherapie sei nicht einfach zu belegen. Die Profession könne zu diesem Thema jedoch mittlerweile gute Argumente ins Feld führen. Die Selbstverwaltung reagiere aber noch immer sehr zögerlich. Bei den Kostenträgern erlebe man, dass Fakten wie lange Wartezeiten auf Psychotherapien in den Praxen schlichtweg missachtet würden. 

Der Vorstand beobachte zugleich die Tendenz, als Alternative zur Psychotherapie auf digitale Interventionen hinzuweisen. Insbesondere in der Coronazeit seien zahlreiche digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf den Markt gekommen und Videosprechstunden forciert worden. Für die therapeutische Beziehung sei jedoch der persönliche Kontakt von großer Bedeutung, betonte Gerd Höhner. Digitale Interventionen könnten herkömmliche Angebote nicht ersetzen. Meist sei nur eine Kombination mit regulärer Psychotherapie wirksam, wie Forschungsergebnisse belegen würden.

Historische Berechnungsfehler bis heute wirksam

Insgesamt käme in der Diskussion um die Versorgungsbedarfe oft zu kurz, dass man von Beginn an mit einem Minus gestartet sei, hielt der Kammerpräsident fest. Die Berufe der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten seien 1999 aus rechtlicher Notwendigkeit, aber gegen erheblichen Widerstand anderer Leistungserbringer im Versorgungssystem eingerichtet worden. Als „Soll“ habe der Gesetzgeber das damals vorhandene „Ist“ gesetzt. Die ambulante Psychotherapie sei zu der Zeit jedoch noch im Aufbau gewesen. Der darauf beruhende Versorgungsmangel sei bis heute nicht ausgeglichen worden. Insbesondere im Ruhrgebiet erlebe man eklatante Defizite. Maßnahmen wie die Reform der Bedarfsplanung 2019 hätten daran wenig geändert. So hätte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einem von ihm beauftragten Gutachten zufolge rund 2.400 zusätzliche Praxissitze schaffen sollen. Es wurden aber nur knapp 740 neue Sitze errichtet, davon 117 in Nordrhein-Westfalen.

Verbesserung der stationären Versorgung

Für den stationären Bereich gäbe es derzeit Bestrebungen, die psychotherapeutische Versorgung zu verbessern, erläuterte Gerd Höhner. Die Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) des G-BA regle die personelle Ausstattung psychiatrischer und psychosomatischer Kliniken. Der Gesetzgeber fordere darin, dass die Kliniken darlegen, dass psychotherapeutische Leistungen von entsprechend qualifiziertem Fachpersonal erbracht wurden. Damit sei man an dem Punkt, dass der Bedarf an Psychotherapie und die Kompetenz der Profession im stationären Bereich gesehen würden. Auf Basis der neu geschaffenen Rechtsgrundlage sei zu erwarten, dass die Nachfrage der Krankenhäuser nach psychotherapeutischen Vollzeitkräften steigt. Der Vorstand habe diese Entwicklung inhaltlich und fachlich unterstützt.

Mit Blick auf aktuelle Arbeitsthemen hob Gerd Höhner die konkrete Ausgestaltung der Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Nordrhein-Westfalen hervor. Diese Qualifizierungsphase falle zukünftig in den Zuständigkeitsbereich der Kammer. Dies sei ein großer Schritt auf einem nicht immer einfachen und arbeitsreichen Weg zur Behebung von Fehlern der bisherigen Aus- und Weiterbildungsstruktur von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. 
ein großer Schritt auf dem Weg zu einer Struktur der Aus- und Weiterbildung, wie sie in anderen Heilberufen realisiert ist.

Die Muster-Weiterbildungsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten 

Vorstandmitglied Hermann Schürmann informierte in seinem Vortrag über die Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und ihre Umsetzung in Nordrhein-Westfalen. In der reformierten Aus- und Weiterbildung könne sich nach einem Studium mit Approbationsabschluss eine Weiterbildung anschließen. Sie umfasse fünf Jahre, von denen zwei im ambulanten und zwei im stationären Bereich erfolgen. Das fünfte Jahr könne wahlweise auch im institutionellen Bereich, beispielsweise der Jugendhilfe, absolviert werden. Geregelt werde diese Qualifizierungsphase durch die Weiterbildungsordnung der Landespsychotherapeutenkammern. 

Die Muster-Weiterbildungsordnung umfasse vier Abschnitte. Nach einem Paragrafenteil A mit Konkretisierungen der allgemeinen Anforderungen beinhalte Abschnitt B die Regelungen zu den Gebieten „Psychotherapie für Kinder und Jugendliche“, „Psychotherapie für Erwachsene“ und „Neuropsychologische Psychotherapie“. In der Weiterbildung erfolge auch die Qualifizierung in einem Richtlinienverfahren, geregelt in Abschnitt C der Muster-Weiterbildungsordnung. Zusätzlich könnten Qualifikationen in Bereichen wie zum Beispiel „Spezielle Psychotherapie bei Diabetes“ erworben werden und die Weiterbildung in einem zweiten Psychotherapieverfahren erfolgen. Diese Regelungen seien in Abschnitt D abgebildet. Die Weiterbildung liege verantwortlich in der Hand von durch die Kammer zugelassenen Weiterbildungsbefugten und finde an ebenfalls durch die Kammer zugelassenen Weiterbildungsstätten statt, beschrieb Hermann Schürmann. Für die derzeitigen Ausbildungsinstitute sehe er gute Chancen, die Zulassung als Weiterbildungsstätte zu erhalten.

Umsetzung der Weiterbildungsordnung auf Landesebene 

Aktuell arbeite man unter anderem an der konzeptionellen Weiterentwicklung eines Logbuches zur Dokumentation der abgeleisteten Weiterbildungsinhalte für die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Weiterbildung. Auf Bundesebene würden derzeit auch Durchführungsbestimmungen diskutiert, mit denen die Länder bei der Umsetzung der Weiterbildung unterstützt werden sollen. Auf Landesebene könne mit der Verabschiedung der Weiterbildungsordnung für Nordrhein-Westfalen die Zulassung erster Weiterbildungsstätten und Weiterbildungsbefugter anlaufen. In einem Überblick skizzierte Hermann Schürmann die Handlungsfelder beim Aufbau der ambulanten, stationären und institutionellen Weiterbildung. Für den institutionellen Bereich sei der Vorstand bereits mit Beratungsstellen und der Jugendhilfe ins Gespräch gekommen. Erfreulicherweise träfe man auf engagierte Kolleginnen und Kollegen, die eine Zulassung als Weiterbildungsbefugte anstreben wollen. 

Mit Blick auf noch offene Fragen im Reformprozess wies er darauf hin, dass die Finanzierung der Weiterbildung noch zu klären sei. Weitere zentrale Aufgaben würden in der Öffentlichkeitsarbeit zu den neuen Regelungen und dem Aufbau der administrativen Strukturen in der Kammer liegen. Eine Herausforderung sei, gute Regelungen für die noch rund zehn Jahre andauernde Koexistenz von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Weiterbildung (PtW) zu finden. Als Sorge würde an den Vorstand herangetragen, dass es nicht genug Weiterbildungsstellen geben werde. Er ginge jedoch davon aus, dass die Kliniken ausreichend Plätze zur Verfügung stellen werden. Wichtig sei nun, dass sich möglichst viele Kolleginnen und Kollegen als Weiterbildungsbefugte beteiligen, um die Weiterbildung ins Laufen zu bringen.

Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Bernhard Moors aus dem Vorstand der Kammer ging in seinem Vortrag auf Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen und Auswirkungen auf die psychotherapeutische Praxis ein. Die Welt sei digitaler gewordenen, die Bundesregierung treibe die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Auch Patientinnen und Patienten würden sich in Umfragen digitalen Anwendungen gegenüber aufgeschlossen äußern. Die Profession begegne diesem Thema ebenfalls grundsätzlich offen, sehe aber auch kritische Punkte und Herausforderungen.

Ein für den Berufstand zentrales Arbeitsthema sei die Telematikinfrastruktur (TI). Vertragspsychotherapeutische Praxen seien rechtlich verpflichtet, sich an die „Datenautobahn des Gesundheitswesens“ anzuschließen. Bei Versäumnissen würden Honorarkürzungen drohen. In den Anwendungen der Telematikinfrastruktur erkenne man durchaus Vorteile. Beispielsweise könne der digitale Austausch zwischen Behandlern über den Kommunikationsdienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) in der Versorgung hilfreich sein. Es werde jedoch veraltete und noch dazu teure Technik ausgerollt, kritisierte Bernhard Moors. Bislang sei die Einrichtung der Telematikinfrastruktur und schon aktiver Module für die Praxen mit viel Aufwand und Kosten aber wenig Nutzen verbunden.

Anwendungen der Telematikinfrastruktur

Bereits eingeführt sei die elektronische Patientenakte (ePA). Seit dem 1. Juli 2021 müssen Vertragspraxen „ePA-ready“ sein, erklärte das Vorstandsmitglied. Versicherte könnten selbst entscheiden, ob sie die Akte nutzen. Probleme sehe der Berufsstand hier insbesondere beim Datenschutz. Es sei wichtig, Patientinnen und Patienten dazu zu beraten. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bräuchten für den Zugang zu der Akte den elektronischen Heilberufsausweis (eHBA). Als verbindliche Basis für die Einrichtung der Telematikinfrastruktur und ihrer Anwendungen sei die IT-Sicherheitsrichtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu beachten. Niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen empfehle er, sich über die Inhalte der Richtlinie zu informieren und für die Umsetzung zertifizierte Dienstleister hinzuzuziehen.

Internet und Datenschutz 

Mit Blick auf Internetanwendungen in der Psychotherapie sei es wichtig, dass die Profession die Rahmenbedingungen mitgestalte. Eine zentrale Aufgabe sei es, die Qualität internetbasierter Behandlungsangebote zu sichern. Insgesamt sei dieser Versorgungsbereich in Bewegung. Videobehandlungen seien auch durch die Coronapandemie stärker in den Fokus gerückt. Kritisch betrachte man den Markt der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), der in den letzten Jahren stark gewachsen sei. Unter anderem müsse bei den Anforderungen an ihre Wirksamkeit nachgebessert werden. Zudem sollten Krankenkassen Gesundheitsapps nicht ohne ärztliche Verordnung abgeben dürfen. Nicht zuletzt müsse man sehen, dass DiGA mit hohen Kosten verbunden seien. Insgesamt halte die Profession es für wesentlich, die digitale Kompetenz von Patientinnen und Patienten zu stärken. Dies dürfe jedoch nicht zu Lasten der Behandlungszeit in den Praxen gehen, betonte Bernhard Moors.

Schließlich seien Datenschutz und Datensicherheit zentral. Vertraulichkeit sei die Basis des psychotherapeutischen Angebots und Datensicherheit damit ein Querschnittsthema, das sich durch alle Bereiche ziehe. Im Vorstand, in der Kammerversammlung und im Ausschuss „Digitalisierung“ werde man sich weiter intensiv mit diesen und weiteren Aspekten und Auswirkungen der Digitalisierung befassen. Es sei wichtig, sich als Berufsstand an der Meinungsbildung zu beteiligen und politisch Einfluss zu nehmen.

Austausch im Plenum

Im Anschluss an die Vorträge sprachen Teilnehmende insbesondere Aspekte im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen Weiterbildung an. Vorstandsmitglied Cornelia Beeking stellte in der Diskussion heraus, dass die Profession durch die neue Aus- und Weiterbildung eine andere Stellung im Gesundheitssystem habe und aufgefordert sei, mitzugestalten. Dies sei ein großer Entwicklungsschritt. Vizepräsident Andreas Pichler erklärte, dass man sich im Rahmen der Weiterbildung damit befassen wolle, Psychotherapie stärker in den öffentlichen Raum hineinzutragen. Es gäbe bereits vermehrt Anfragen aus Bereichen, in denen Schnittstellenwissen gebraucht werde, zum Beispiel aus der Katastrophenhilfe. Auch die Prävention sei ein neues Aufgabenfeld. Der Berufstand habe zu diesen Themen viel zu bieten. Man werde daran arbeiten, entsprechende Türen zu öffnen.

Gerd Höhner knüpfte abschließend an den Themenbereich „Digitalisierung in der Psychotherapie“ an. Er betonte, dass sich die Profession nicht gegen digitale Entwicklungen stelle. Doch Intimität und Vertraulichkeit seien die Basis der psychotherapeutischen Beziehung – aber ein 100-prozentiger Datenschutz sei bei digitalen Behandlungsformen nicht herstellbar. Und auch, wenn digitale Interventionen hinzukämen, bliebe der Kern der psychotherapeutischen Behandlung der persönliche Kontakt. Zum Ende der Veranstaltung dankte der Kammerpräsident den Referenten für die informativen Vorträge und den Teilnehmenden für ihre Aufmerksamkeit und die Diskussionsbeiträge. Es sei erfreulich gewesen, nach einer langen Phase mit Regionalversammlungen als online-Veranstaltungen wieder in direkten Kontakt gekommen zu sein. 

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