Rückblick auf die Regionalversammlung für den Regierungsbezirk Detmold am 2. Juni 2022

Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen hatte die Kammermitglieder im Regierungsbezirk Detmold für den 2. Juni 2022 zu einer Regionalversammlung eingeladen. Rund 45 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nutzten die Gelegenheit, sich auf der online durchgeführten Veranstaltung über aktuelle berufspolitische Entwicklungen und die Aktivitäten der Kammer auf Landes- und Bundesebene zu informieren. Die Regionalversammlungen bieten den Kammerangehörigen Vorträge zu ausgewählten Themenschwerpunkten und die Möglichkeit, sich an der berufspolitischen Diskussion zu beteiligen. Sie werden vom Vorstand der Kammer in regelmäßigen Abständen reihum in den Regierungsbezirken des Landes angeboten.

Defizite in der Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen

Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, begrüßte die Kammerangehörigen, die teilnehmenden Vorstandsmitglieder und das Organisationsteam der Geschäftsstelle. In seinem Vortrag „Defizite in der psychotherapeutischen Versorgungsplanung in Nordrhein-Westfalen“ erinnerte er daran, dass der Gesetzgeber 1999 mit der Errichtung der Berufe der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten die damalige Anzahl der Sitze in der vertragspsychotherapeutischen Versorgung („Ist“) zum „Soll“ erklärt habe. Die ambulante Psychotherapie habe sich damals jedoch noch im Aufbau befunden. Seitdem habe es einige Verbesserungen gegeben, etwa mit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie im Jahr 2017. Gemessen an dem gravierenden „Geburtsfehler“ seien die Bestrebungen des Gesetzgebers zum Ausgleich der von Beginn an bestehenden Versorgungsdefizite aber unzureichend geblieben. Auch die Reform der Bedarfsplanung 2019 sei misslungen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hätte einem von ihm beauftragten Gutachten zufolge rund 2.400 zusätzliche Praxissitze schaffen sollen. Tatsächlich wurden lediglich knapp 740 neue Sitze errichtet, davon 117 in Nordrhein-Westfalen.

Patientinnen und Patienten müssten angesichts dieser Situation oft monatelang auf eine notwendige Behandlung warten, kritisierte der Kammerpräsident. Wer nachweislich keinen Therapieplatz in einer vertragspsychotherapeutischen Praxis bekäme, habe nach Paragraf 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zwar Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Behandlung in einer Privatpraxis. Die Krankenkassen würden den Anträgen jedoch zögerlich und ablehnend begegnen. Ein steigender Bedarf verstärke das Unterangebot. So sei mit der Corona-Pandemie die Nachfrage in den niedergelassenen Praxen gestiegen; insbesondere im Bereich der Kinder und Jugendlichenpsychotherapie. Auch die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 habe zu vermehrten Anfragen geführt. Hinzu käme der psychotherapeutische Unterstützungsbedarf von Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen sind.

Aktivitäten der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen

Die Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen setze sich entschieden dafür ein, dass die Defizite in der psychotherapeutischen Versorgung ausgeräumt werden, erklärte Gerd Höhner. Man dürfe nicht immer wieder auf die persönliche Initiative von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten setzen, die sich zusätzlich zu ihrem regulären Versorgungsauftrag engagieren. Vielmehr müssten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen mehr Behandlungskapazitäten schaffen. Mögliche Maßnahmen seien unter anderem Ermächtigungen, höhere Leistungsobergrenzen für die Praxen und eine zügige Bewilligung von Anträgen auf Kostenerstattung. Niemand höre bei diesen Themen gern hin und die Diskussionen seien zäh. Um so erfreulicher sei es, dass die Kammer sich hierzu vom Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales (MAGS) Nordrhein-Westfalen mittlerweile gut unterstützt fühle.

Ein weiteres Anliegen des Kammervorstands sei die Verstärkung präventiver und unterstützender psychosozialer Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und Familien, hielt Gerd Höhner fest. Insbesondere gelte es, die fachliche Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern und Beratungsstellen zu fördern. Die Profession sei bereit, im Rahmen von Fortbildungen und Supervision fachlich zu unterstützen. Zudem müsse die Richtlinie über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSV-Psych-RL) nachgebessert werden. Mit den aktuellen Regelungen sei eine ausreichende Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen nicht zu erreichen, mahnte Gerd Höhner. 

Eine erfreuliche Entwicklung sei, dass wesentliche Forderungen der Kammer im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien auf Bundesebene verankert wurden. Dies betreffe auch das Anliegen, im stationären Bereich eine bedarfsgerechte Personalausstattung und eine leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung zu schaffen. Man werde diese Themen weiterhin in den verschiedenen Gremien zur Sprache bringen, versicherte der Präsident. In den letzten Jahren habe man deutliche Fortschritte erzielt. Dies gebe Kraft, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Die Muster-Weiterbildungsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten

Barbara Lubisch aus dem Vorstand der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen stellte die Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) für den Berufstand vor. Sie erläuterte einführend, dass mit der Reform der Psychotherapieaus- und Weiterbildung auf ein Studium mit Approbationsprüfung eine fünfjährige Weiterbildung folgen könne. In dieser Phase erfolge die Qualifikation in einem der drei Gebiete „Kinder und Jugendliche“, „Erwachsene“ und „Neuropsychologische Psychotherapie“. Zugleich werde die Fachkompetenz in einem oder mehreren Psychotherapieverfahren erworben. Die Muster-Weiterbildungsordnung definiere in vier Abschnitten allgemeine Bestimmungen, die Anforderungen an die Gebiete und an die Therapieverfahren in den Gebieten sowie an die Bereiche. Auf dem Deutschen Psychotherapeutentag (DPT) im Mai 2022 habe es zum Abschnitt D „Bereiche“ letzte Abstimmungen gegeben. Mit diesen Beschlüssen sei die Muster-Weiterbildungsordnung für die Profession auf Bundesebene nun formal fertiggestellt. Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter des Berufsstands hätten sich an diesem umfangreichen Arbeitsprozess über gut drei Jahre hinweg intensiv beteiligt.

Durchgeführt werde die Weiterbildung an von der Kammer zugelassenen Weiterbildungsstätten im ambulanten, stationären und institutionellen Versorgungsbereich, erläuterte Barbara Lubisch. Für den institutionellen Bereich habe man sich entschieden, da dort eine vermehrte Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen bestünde. Zugleich würden sich der Profession in diesem Feld neue berufliche Perspektiven eröffnen. Die Leitung der Weiterbildung liege in den Händen der von der Kammer zugelassenen Weiterbildungsbefugten.

Die Umsetzung der Muster-Weiterbildungsordnung in Nordrhein-Westfalen

Auf den Berufsstand und die Landeskammern kämen nun weitere Aufgaben zu. Dazu gehöre die Konzeption von Durchführungsbestimmungen und Richtlinien zur Anerkennung von Weiterbildungsstätten und Weiterbildungsbefugten. Auch das Logbuch für die Weiterbildungsteilnehmenden sei in Arbeit. Zudem müsse die operative Umsetzung der Weiterbildung vorangetrieben werden. Allem voran müsse die konkrete Ausgestaltung ihrer Finanzierung geklärt werden, hob Barbara Lubisch hervor. Der Vorstand sei zu diesen Themen in gutem Austausch mit den Vertreterinnen und Vertretern in den entsprechenden Gremien und Institutionen.

Die Kammerversammlung werde nun im nächsten Schritt die Weiterbildungsordnung Nordrhein-Westfalen verabschieden. Ziel sei, die Muster-Weiterbildungsordnung auf Länderebene eins zu eins zu übernehmen. Angesichts des engen Zeitplans sei man bestrebt, zügig und gegebenenfalls noch vor der nächsten regulären Sitzung der Kammerversammlung im Dezember 2022 zu einem Beschluss zu kommen. Die Kammer müsse bereits bis Anfang 2023 erste Weiterbildungsstätten und Weiterbildungsbefugte akkreditieren, da ab dann erste approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit einem Abschluss einer ausländischen oder privaten Hochschule die Weiterbildung anstreben könnten. Barbara Lubisch skizzierte auch die Aufgaben verschiedener Akteurinnen und Akteure im Zusammenhang mit dem Aufbau der Weiterbildung in den verschiedenen Versorgungsbereichen. Als eine der Herausforderungen bezeichnete sie das Nebeneinander von zwei Weiterbildungsordnungen über mehrere Jahre hinweg. Die Kammer werde in dieser Übergangszeit die Belange der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) nach altem Recht im Blick behalten. An die Kammermitglieder appellierte Barbara Lubisch, sich für eine Tätigkeit als Weiterbildungsbefugte zur Verfügung zu stellen oder andere Funktionen beispielsweise in Prüfungskommissionen zu übernehmen.

Digitalisierung im Gesundheitswesen

Andreas Pichler, Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, stellte Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen und ihre Auswirkungen auf die psychotherapeutische Praxis dar. Das Vertrauen der Bevölkerung in digitale Angebote wachse und der Gesetzgeber treibe die Digitalisierung in einem von der Profession mitunter als problematisch empfundenen Tempo voran. Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien in diesem Zusammenhang drei Themenkomplexe zentral: die Telematikinfrastruktur, Internet in der Psychotherapie und das Querschnittsthema Datenschutz und Datensicherheit.

Für vertragspsychotherapeutische Praxen sei die Anbindung an die Telematikinfrastruktur verpflichtend, betonte Andreas Pichler. Vieles sei dabei allerdings noch nicht ausgereift. Technische Probleme würden die Abläufe in den Praxen behindern, drohende Honorarkürzungen bei zeitlichen Verzögerungen für Unmut sorgen. Auch die Refinanzierung der Kosten für die benötigten Komponenten sei bislang nicht zufriedenstellend gelöst. Die Kammer spreche sich aber trotz aller Kritik nicht grundsätzlich gegen die Digitalisierung aus. Nur müsse ihre Umsetzung vernünftig geplant werden. Die Kammer habe daher stets angemahnt, nur reibungslos funktionierende Komponenten auszurollen. Eine bereits eingeführte Anwendung der Telematikinfrastruktur sei die elektronische Patientenakte (ePA). Vertragspraxen müssten seit dem 1. Juli 2021 „ePA-ready“ sein. Für Versicherte sei die Anwendung freiwillig. Um die Akte nutzen zu können, würden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten den elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) Generation 2.0 benötigen. Auch die IT-Sicherheitsrichtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sei für den Berufsstand verbindlich. Den Kammerangehörigen riet Andreas Pichler, sich mit der Richtlinie und damit verbundenen Themen vertraut zu machen.

Internet in der Psychotherapie

Der Einsatz von Internetanwendungen in der Psychotherapie sei für die Profession ebenfalls mit vielen Fragen und Herausforderungen verbunden, so der Vizepräsident. Videosprechstunden seien mit der Pandemie stärker in den Fokus gerückt, zugleich wachse der Markt an Selbsthilfeprogrammen. Mittlerweile würden Studien vorliegen, die ernstzunehmende Wirkungsnachweise von face-to-face-Psychotherapie kombiniert mit Internet- oder mobil basierten Interventionen (Blended Therapie, verzahnte Therapie) aufzeigen würden. Die reine Nutzung von Online-Angeboten scheine häufig problematisch zu sein. Andreas Pichler zeigte auch die Kritikpunkte der Profession an Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf. Dazu zähle die Regelung, dass Krankenkassen selbst DiGA an ihre Versicherten abgeben könnten. Die Wirksamkeitsprüfung der Anwendungen sei oftmals nicht ausreichend. Probleme sehe man auch bei Datenschutz und Haftungsfragen. Die Kammer fordere den Gesetzgeber daher auf, bei der Verordnung von DiGA nachzubessern. 
Ein weiteres zentrales Arbeitsthema in der Kammer sei der Bereich Datenschutz und Datensicherheit. Wesentlich sei, diese Themen mit der gleichen Sorgfalt zu behandeln wie andere Nutzungsaspekte digitaler Anwendungen. Dies sei aber nicht gegeben. Für die Profession bleibe es daher eine wichtige Aufgabe, sich an der Meinungsbildung zu diesen Themen zu beteiligen und die Entwicklung kritisch zu begleiten. Abschließend informierte der Vizepräsident, dass der Ausschuss Digitalisierung der Kammer eine Informationsveranstaltung zu Aspekten der Digitalisierung anbieten werde. Die Online-Veranstaltung sei für den 10. September 2022 geplant und werde rechtzeitig über die Kommunikationskanäle der Kammer angekündigt.
Gerd Höhner bedankte sich in seinem Schlusswort für die informativen Vorträge und die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden. Die Regionalversammlungen seien ein guter Weg, miteinander in Kontakt zu bleiben– in Zukunft hoffentlich auch wieder live vor Ort.

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