Soldatinnen und Soldaten in der psychotherapeutischen Praxis – eine Fortbildung gab Einblicke in typische Symptom- und Belastungslagen dieser Patientengruppe

Ebenso wie gesetzlich Krankenversicherte finden Soldatinnen und Soldaten häufig keine Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung oder müssen unzumutbare Wartezeiten in Kauf nehmen, bis sie in Behandlung kommen. Um ihre psychotherapeutische Versorgung zu verbessern, vereinbarten die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und das Bundesverteidigungsministerium im September 2013, dass Soldatinnen und Soldaten sich auch in psychotherapeutischen Privatpraxen behandeln lassen können. Auf Grundlage dieser Vereinbarung führen Bundeswehr und Psychotherapeutenkammern zudem gemeinsame Fortbildungen durch.

Fortbildung im Schulterschluss

Ein solches Angebot war die Veranstaltung „Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr – Dienst, Einsatz und Belastungen“ der Landespsychotherapeutenkammern von Rheinland-Pfalz, Saarland und Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Bundeswehr.

Über 250 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nahmen an der Fortbildung in der Luftwaffenkaserne in Köln-Wahn am 11. Oktober 2017 teil. Sie erhielten einen Einblick in den soldatischen Alltag, therapierelevante bundeswehrspezifische Themen und spezielle Symptom- und Belastungslagen von Soldaten-Patienten. Auch die Schnittstellen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung wurden deutlich. Moderiert wurde die Veranstaltung von Regierungsdirektor Joachim Hille, Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr in Koblenz.

Wege aus der Krise finden

„Mit Soldatinnen und Soldaten und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten scheinen mit Blick auf Rollenbilder und den Umgang mit Emotionalität zwei sehr unterschiedliche Welten aufeinanderzutreffen“, erklärte Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, in seinem Grußwort. „Die Notwendigkeit von streng hierarchischen Systemen wie bei der Bundeswehr oder der Polizei korrespondiert mit einem gewissen Männlichkeitsbild, für das man die Überschrift ‚Ein Indianer kennt keinen Schmerz’ wählen könnte. Zugänge zur Emotionalität sind aus dieser Sicht heraus eher nicht opportun.“ In der psychotherapeutischen Arbeit hingegen sei der Umgang mit der Emotionalität des Menschen das Kernthema. „Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verstehen sich nicht als ‚Psychoklemptner’, die an Stellschrauben drehen, um jemanden, der ‚kaputt’ ist, zu ‚reparieren’“, betonte Gerd Höhner. „Vielmehr sehen wir die individuelle Persönlichkeit und bieten dem Hilfe suchenden Soldaten eine fachlich kompetente Behandlung an, in der wir seine Innenwelt beleuchten und ihn unterstützen, aus der Krise heraus in eine entwicklungsfähige Situation zu gelangen. Wie dabei Rollenstereotype psychologisch wirken und wie man sich aus ihnen herausentwickeln kann, gehört zu den zentralen Themen des heutigen Tages.“

Steigende Inanspruchnahme

Oberstarzt Dr. Matthias Baßler, Leiter der Unterabteilung Wehrmedizin, Humanmedizin, Individualmedizin im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, hob hervor, dass man heute nicht mehr auf die Defizite eines Menschen schauen würde, sondern auf seine Fähigkeiten. Themen wie Wiedereingliederung, Teilhabe, die Einbindung von Familienangehörigen in den Therapieprozess sowie psychosoziale Versorgung definierte er in diesem Zusammenhang als wichtige Aufgaben, bei denen auch das Zusammenwirken von wehrdienstlichen und zivilen Einrichtungen eine große Rolle spiele. Er informierte darüber, dass eine steigende Inanspruchnahme des Versorgungssystems der Bundeswehr festzustellen sei und deutlich würde, dass Soldatinnen und Soldaten sich von Therapeutinnen und Therapeuten mehr Wissen über die Besonderheiten der Bundeswehr und den damit verbundenen Belastungsfaktoren wünschen.

Besonderheiten des Soldatenberufs

Die Organisation der Bundeswehr und Besonderheiten des Soldatenberufes erläuterte Oberstarzt Dr. Michael Alvarez-Brückmann, Leiter des Sanitätsversorgungszentrums Köln-Wahn. Er informierte über das Auftrags- und Aufgabenspektrum der Bundeswehr und die Erwartungen an Soldatinnen und Soldaten und skizzierte die Herausforderungen, denen sich Soldatinnen und Soldaten in einer modernen Bundeswehr stellen müssen, beispielsweise bei Auslandseinsätzen, der Wiedereingliederung in den Alltag oder hinsichtlich der geforderten räumlichen und zeitlichen Flexibilität im Dienst. Des Weiteren beschrieb Dr. Michael Alvarez-Brückmann typische Erwartungen, die Soldatinnen und Soldaten aufgrund ihrer Aufgaben und ihrer Erfahrungen in ihrem Beruf in die psychotherapeutische Behandlung mitbringen. Abschließend stellte der Oberstarzt das psychosoziale Netzwerk und das Interdisziplinäre Patientenzentrierte Rehabilitationsteams der Bundeswehr vor.

Psychosoziale Angebote der Bundeswehr

Den Aktivitäten der Bundeswehr zur psychosozialen Betreuung von Soldatinnen und Soldaten, ihren Angehörigen, zivilen Mitarbeitern, Hinterbliebenen von Gefallenen und ehemaligen Bundeswehrangehörigen widmete sich Regierungsdirektorin Christiane Reitz, Leitende Truppenpsychologin des Luftwaffentruppenkommandos Köln-Wahn. Sie betonte den Stellenwert niedrigschwelliger Ansätze und präventiver Maßnahmen und zeigte auf, dass bei Bedarf fachärztliche Kolleginnen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten hinzugezogen werden. Darüber hinaus erläuterte sie die bestehenden Hilfestrukturen und Angebote, an die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten andocken können.

Therapieansätze und Behandlungskonzepte

Einen praktischen Einblick in die Symptom- und Belastungslagen von Soldaten-Patienten und möglichen Schnittstellen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung vermittelte Regierungsdirektorin Dr. Christina Alliger-Horn, Leitende Psychologin im Bundeswehrkrankenhaus Berlin. Ihren Angaben zufolge sind unabhängig von geleisteten Einsätzen Ängste, Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen die häufigsten psychischen Probleme bei Soldatinnen und Soldaten. Es suchen jedoch nur 55 Prozent der Betroffenen psychosoziale Hilfe und wiederum nur 10-12 Prozent von ihnen erhalten eine fachgerechte Behandlung. An einem Fallbeispiel stellte die Psychologin dar, mit welchen Problemen Soldaten vorstellig werden. Als häufig zum Tragen kommende Faktoren identifizierte sie durchlebte Gefahrensituationen, Schuld und Scham angesichts erlebter Hilflosigkeit sowie die Sorge, nicht mehr der „harte Kämpfer“ zu sein und „das Gesicht zu verlieren“. Am praktischen Beispiel erläuterte Dr. Christina Alliger-Horn auch das diagnostische Vorgehen, wirksame Methoden und die mögliche Struktur einer Behandlung im Bundeswehrkrankenhaus kombiniert mit Therapiebausteinen in einer ambulanten psychotherapeutischen Praxis.

Spezifische Belastungsfaktoren

Über aktuelle Einsatzgebiete, Belastungen während eines Einsatzes und das Aufgabenprofi der Truppenpsychologen berichtete Oberregierungsrat Alexander Varn, Truppenpsychologe im Kommando Sanitätseinsatzunterstützung in Weißenfels. Als kritische Faktoren vor Ort nannte er physische Belastungen etwa durch extreme Temperaturen, Lärm oder ungewohnte Nahrung sowie psychische Belastungen beispielsweise durch das Erleben von Angst, Gewalt und Tod, die Trennung von Vertrautem, eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten und mangelnde Privatsphäre. Als einsatzvorbereitende Maßnahmen beschrieb er unter anderem die Vermittlung von Stressmanagementtechniken und die Vorbereitung auf zu erwartende Stressoren vor Ort. Als zentrale Elemente im Auftrag der Truppenpsychologen erläuterte er die Führungsberatung für Vorgesetzte, die Einzelfallberatungen für Soldatinnen und Soldaten sowie die psychologische Krisenintervention nach einem Einsatz.

Beantragung und Abrechnung

Abschließend skizzierte Oberstarzt Dr. Michael Alvarez-Brückmann die notwendigen Schritte und den Informationsfluss zwischen Patient, Truppenarzt und Wehrpsychiater bei der Beantragung von Probatorik, Kurzzeittherapie und Langzeittherapie. Ebenso informierte er, welche Formblätter Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die Soldatinnen und Soldaten behandeln, für ihre Abrechnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung (bei vorhandener Kassenzulassung) oder dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr Referat PA 3 Heilfürsorgeabrechnung (als Privatpraxis) benötigen. Seit März 2017 gilt für die Abrechnung einer Behandlung von Bundeswehrsoldaten in Privatpraxen in der Regel der 2,2-fache Satz der Gebührenordnung für Ärzte. Zuvor galt der 2,0-fache Satz. Mit der Erhöhung werden die Honorarsteigerungen für Kassenpsychotherapeuten nachvollzogen. Psychotherapeuten mit Kassenzulassung rechnen weiterhin nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab über die Kassenärztlichen Vereinigungen ab.

Deutlich wurden auf der Fortbildung der Bedarf und die Bereitschaft der Bundeswehr, für die psychiatrische und psychosomatische Versorgung von Soldatinnen und Soldaten Angebote von niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu nutzen. In den Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde es als positiv bewertet, Einblicke in die Besonderheiten des Soldatenberufes erhalten zu haben. Viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten betonten ihr Interesse, mit dieser Patientengruppe arbeiten zu wollen.

Meldungen abonnieren