Bedarfsplanung, Honorargerechtigkeit, Psychotherapierichtlinie - Kammerversammlung fordert Reformen zum Nutzen der Patienten

Die starke und erfolgreiche politische Interessenvertretung für psychisch kranke Menschen erzeugt aktuell erheblichen Gegenwind von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Kammerversammlung am 14. Dezember in Dortmund bekräftigte deshalb noch einmal zentrale Positionen der nordrhein-westfälischen Psychotherapeutenschaft: Die geplante Reform der Bedarfsplanung gefährdet die psychotherapeutische Versorgung, eine minimale Honorarsteigerung von lediglich 73 Cent je psychotherapeutischer Sitzung ist inakzeptabel und eine Weiterentwicklung der Psychotherapierichtlinien darf sich nicht vorrangig an ökonomischen Erwägungen orientieren, sondern muss sich an Versorgungsnotwendigkeiten und dem Nutzen für die Patienten orientieren.

Resolution der 8. Sitzung der 3. Kammerversammlung am 14.12.2012:
Bedarfsplanung gefährdet psychotherapeutische Versorgung

Psychisch kranke Menschen warten in NRW durchschnittlich mehr als drei Monate auf einen ersten Termin beim niedergelassenen Psychotherapeuten. Bis zum eigentlichen Beginn der Behandlung vergehen dann im Durchschnitt noch einmal weitere drei Monate. Im Ruhrgebiet sind diese Wartezeiten aufgrund einer völlig verfehlten Bedarfsplanung noch gravierender. Dort warten die Patienten auf einen Ersttermin über vier Monate. Diese Wartezeiten sind eindeutig zu lang und für die Patienten unzumutbar. Trotzdem weist die bestehende Bedarfsplanung aufgrund der fehlerhaften Verhältniszahlen diese Regionen als „überversorgt“ aus.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der Krankenkassen haben mit Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 22.10.2012 eine Finanzierungszusage für bundesweit maximal 1.150 zusätzliche psychotherapeutische Praxen vereinbart. Zugleich aber können aufgrund der bisherigen Bedarfsplanung bundesweit ca. 6.700 psychotherapeutische Praxen im Falle eines Nachbesetzungsverfahrens stillgelegt bzw. aufgelöst werden. Für NRW bedeutet dies, dass ca. 50 bis 60 Praxissitze entstehen können, während zugleich der Abbau von ca. 1.560 Praxissitzen droht. Dies kann dazu führen, dass in Regionen, die – trotz langer Wartezeiten – derzeit rechnerisch als „überversorgt“ gelten, mehr als die Hälfte der bestehenden Psychotherapiepraxen aufgelöst werden können. Besonders betroffen ist dabei auch das Ruhrgebiet, wo bereits jetzt eine eklatante strukturelle Unterversorgung mit Psychotherapie besteht.

Die Psychotherapeutenkammer NRW sieht mit großer Sorge, dass auch die neue Bedarfsplanung nicht die notwendige Korrektur der Verhältniszahlen beinhalten könnte und dass bei der Umsetzung dieser Bedarfsplanung eine weitere Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung in NRW droht. Daher fordert die Psychotherapeutenkammer NRW alle Beteiligten in der Gesundheitspolitik und den zuständigen Gremien (z.B. G-BA) auf, bei der Weiterentwicklung der Bedarfsplanungsrichtlinie (insbesondere bei der Festlegung neuer Planungsbereiche und der Neuberechnung der Verhältniszahlen von Einwohner/Psychotherapeut) die Sicherung der Versorgung auf dem heutigen Niveau sowie eine Verbesserung in strukturschwachen und ländlichen Regionen zu gewährleisten.

Resolution der 8. Sitzung der 3. Kammerversammlung am 14.12.2012:
Honorargerechtigkeit für Psychotherapeuten

Die Psychotherapeutenkammer NRW begrüßt den Beschluss des Bewertungsausschusses vom 22. Oktober 2012, die genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen und probatorischen Sitzungen zukünftig extrabudgetär zu finanzieren. Dies ist die Grundlage für die Finanzierung dringend benötigter zusätzlicher ambulanter Behandlungskapazitäten.

Der Beschluss ändert jedoch nichts an der schwierigen finanziellen Lage der niedergelassenen Psychotherapeuten. Das Honorar für eine Sitzung Psychotherapie wird zum 1. Januar 2013 lediglich um 73 Cent pro Sitzung angehoben. Damit erhöht sich der Umsatz für eine einstündige Psychotherapiesitzung innerhalb von 5 Jahren (Anfang 2009 bis Ende 2013) nur um 0,2 % pro Jahr. Dies ist angesichts einer Geldentwertung von jährlich 2 % ein massiver realer Einkommensverlust.

Psychotherapie ist eine Leistung, die nicht an Praxispersonal oder Praxisvertreter delegiert werden kann. Aufgrund ihrer festen Zeitgebundenheit ist diese Leistung auch nicht schneller zu erbringen oder anderweitig vermehrbar. Daher profitieren Psychotherapeuten nicht von der Zunahme der Menge der abrechenbaren Leistungen, wie sie in den jährlichen Gesamtvergütungsverhandlungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen vereinbart werden.

Psychotherapeuten liegen weiterhin weit abgeschlagen an der untersten Stelle im Vergleich zum Einkommen somatisch tätiger Ärzte. Sie verdienen – bei gleicher Arbeitszeit – im Durchschnitt etwa die Hälfte aller anderen Arztgruppen und etwa ein Drittel bis ein Viertel im Vergleich zu den spezialisierten Internisten. Seit der Honorarreform 2009 geht diese Einkommensschere zwischen somatisch tätigen Ärzten und Psychotherapeuten stetig auseinander.

Die Selbstverwaltung der Ärzte und der Krankenkassen war bisher weder willens noch in der Lage, diese gravierenden Einkommensunterschiede zu beheben. Aus diesem Grund musste das Bundessozialgericht seit 1999 in mehreren Urteilen dafür sorgen, dass den Psychotherapeuten zumindest ein gewisses Mindesthonorar zugestanden wird. Es ist nicht länger zumutbar, dass Psychotherapeuten ihren Anspruch auf eine angemessene Vergütung ihrer Leistungen immer wieder über jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen einklagen müssen und ihnen außerdem der damit einhergehende Zinsverlust nicht erstattet wird.

Die Psychotherapeutenkammer NRW fordert daher die Gesundheitspolitik und den Gesetzgeber auf, die bisher nur allgemein gehaltene Bestimmung zur angemessenen Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen im § 87 Abs. 2b SGB V so zu konkretisieren, dass Psychotherapeuten bei gleichem Arbeitseinsatz ein Einkommen erzielen können, wie es ein im fachärztlichen Versorgungsbereich tätiger Vertragsarzt erreichen kann. Außerdem muss ein jährlicher Abgleich der Einkommen der Psychotherapeuten mit denen der Fachärzte gesetzlich vorgeschrieben und die Höhe der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen entsprechend angepasst werden.

Resolution der 8. Sitzung der 3. Kammerversammlung am 14.12.2012:
Innovationen nur zum Nutzen der Patienten

Mit dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 22. Oktober 2012 zur extrabudgetären Vergütung wurde eine Vereinbarung zwischen der KBV und dem GKV-Spitzenverband getroffen, nach der bis zum 30. Juni 2013 die Psychotherapierichtlinien und das Gutachterverfahren weiterentwickelt werden sollen. Insbesondere seien die Angemessenheit der unterschiedlichen Behandlungsdauer der verschiedenen Verfahren und das Verhältnis von Einzel- zu Gruppentherapie zu überprüfen. Damit wird erstmalig eine honorarpolitisch motivierte Festlegung für eine im und vom G-BA durchzuführende Weiterentwicklung der Psychotherapierichtlinien vereinbart.

Die Psychotherapeutenkammer NRW begrüßt die Absicht, die seit 40 Jahren nur wenig veränderten Psychotherapierichtlinien heutigen Erfordernissen anzupassen. Es müssen z.B. Möglichkeiten zur langfristigen, niederfrequenten Psychotherapie bei chronischen psychischen Erkrankungen sowie zur kurzfristigen Akutbehandlung geschaffen werden, wie sie in den derzeit gültigen Psychotherapierichtlinien nicht vorgesehen sind. Die Möglichkeiten zur Durchführung von Gruppentherapien sollten verbessert und der bürokratische Aufwand auf das Nötigste beschränkt werden.

Angesichts der zunehmenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen weist die Psychotherapeutenkammer NRW darauf hin, dass die Überarbeitung der Psychotherapierichtlinien nicht vorrangig von ökonomischen Erwägungen bestimmt werden darf. Die Psychotherapeutenkammer NRW fordert daher, dass die Weiterentwicklung der Psychotherapierichtlinien sich an den Versorgungsnotwendigkeiten und dem Nutzen für die Patienten zu orientieren hat. Dabei sind fachliche Kriterien und die Ergebnisse der Forschung zu berücksichtigen. Einschränkungen bei notwendigen Behandlungen verletzen das Wohl der Patienten und werden daher entschieden abgelehnt.

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