Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte in der Psychotherapie – Kooperationsveranstaltung von Ministerium des Innern des Landes NRW, Polizei NRW und Kammer am 2. April 2025 fand großen Zuspruch
Welchen Belastungen sind Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte in ihrem Berufsalltag ausgesetzt? Welche psychosozialen und gegebenenfalls psychotherapeutisch relevanten Anliegen können sich daraus ergeben? Wie gelangen die Beamtinnen und Beamten dann in Behandlung und was ist für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wichtig zu wissen? Die online durchgeführte Kooperationsveranstaltung „Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (PVB) in der Psychotherapie“ von der Polizei Nordrhein-Westfalen (Polizei NRW), des Innenministerium NRW (IM NRW) und der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen (PTK NRW) am 2. April 2025 beantwortete diese und weitere Fragen. Über 400 Interessierte hatten sich per Video zugeschaltet. Moderiert wurde sie von Julia Leithäuser, Vizepräsidentin der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfahlen.
Gemeinsames Anliegen: Polizeibeschäftigten den Zugang zur Psychotherapie erleichtern
Andreas Pichler, Präsident der PTK NRW, begrüßte den Leitenden Polizeidirektor Markus Henkel, Referatsleiter Personal der Polizei und stellvertretender Gruppenleiter des Ministeriums des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) sowie alle an der Veranstaltung mitwirkenden Referentinnen und Referenten der Polizei NRW. Für die Gelegenheit, die gemeinsame Informationsveranstaltung umsetzen zu können, dankte er ihnen ausdrücklich.
Der Kammer sei es ein Anliegen, ihre Mitglieder über mögliche Belastungen im Polizeidienst zu informieren und potenziell bestehende Hürden für niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bei der Behandlung von Polizeibeschäftigten zu reduzieren. Die Polizei leiste einen wertvollen, unabdingbaren Dienst an der Gemeinschaft und verdiene die Unterstützung der Profession, hielt der Kammerpräsident fest. Ein leichterer Zugang von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten (PVB) zur psychotherapeutischen Behandlung sei für alle Beteiligten erstrebenswert.
Markus Henkel sprach dem Berufsstand Dank für sein Engagement in der psychotherapeutischen Versorgung auch von Beschäftigten der Polizei aus. Er schilderte aus persönlicher Erfahrung mit dem Polizeidienst einhergehende Herausforderungen. PVB würden Extremsituationen erleben, seien mit Sterben und Tod konfrontiert, würden mitunter selbst bedroht. Viele würden ihre Tätigkeit dennoch nicht nur als Beruf, sondern als Berufung verstehen und seien stark intrinsisch motiviert. Man finde bei der Polizei ferner einen starken kollegialen Zusammenhalt. Dies sei wichtig, um schwierige Einsätze gemeinsam bewältigen zu können. Die Einstellung, für die Arbeit alles geben zu wollen, berge jedoch auch die Gefahr, Warnsignale der Psyche hintenanzustellen, konstatierte Markus Henkel. Umso erfreulicher sei, dass innerhalb der Polizei NRW mit entsprechenden Themen inzwischen offener umgegangen werde. Beschäftigte würden beispielsweise selbstverständlicher auf Angebote wie Supervision zurückgreifen. Mitunter werde aber über die internen Unterstützungsstrukturen hinaus die Kompetenz von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gebraucht. Markus Henkel lud die Teilnehmenden ein, die begonnene Kooperation weiter auszubauen und sich dafür einzusetzen, PVB den Zugang in die Psychotherapie zu erleichtern.
Kammervizepräsidentin Julia Leithäuser begrüßte die Vertretung der Polizei NRW und die zugeschalteten Kammermitglieder ebenfalls herzlich. Über 400 Teilnehmende würden der Veranstaltung zu Hause an den Bildschirmen folgen. Diese hohe Zahl spiegele das große Interesse der Kammerangehörigen, mehr über die psychotherapeutischen Anliegen und die Rahmenbedingungen der Versorgung von Beschäftigten der Polizei zu erfahren.
Besondere Anforderungen durch den Polizeidienst
Udo Tönjann, Leitender Polizeidirektor und Leiter der Abteilung 3 im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW, gab einen Überblick über die Struktur und Organisation der Polizeiorganisation und des Polizeidienstes in NRW mit aktuell 52.000 Beschäftigten in 47 Kreispolizeibehörden und drei Landesoberbehörden sowie dem IM NRW. Anhand von Beispielen beschrieb er die vielfältigen Aufgaben und Funktionen der Polizei sowie die Besonderheiten des Polizeivollzugdienstes.
Von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten (PVB) werde eine hohe körperliche und mentale Leistungsfähigkeit erwartet, erläuterte Udo Tönjann. Ihre tägliche Arbeit sei durch vielfältige Herausforderungen gekennzeichnet. Neben der Konfrontation mit Konflikten, Straftaten und Gewalt gehöre dazu beispielsweise, in dynamischen Situationen mitunter weitreichende Entscheidungen treffen oder schnelle Wechsel von Ruhephasen zu Phasen mit maximaler Anforderung bewältigen zu müssen. Mit Aufgaben wie der Bearbeitung von Fällen der Kinderpornografie seien weitere psychische Herausforderungen verbunden. Belastend könne auch das Erleben einer scheinbar fehlenden Wirksamkeit der eigenen, grundsätzlich sinnstiftenden Tätigkeit sein, wenn Konsequenzen ausbleiben oder Vorfälle sich wiederholen. Darüber hinaus begleite Beamtinnen und Beamte die Sorge, nach Dienstunfällen oder Erkrankungen als polizeidienstuntauglich eingestuft zu werden.
Psychosozialer Unterstützungsbedarf von Polizeibeschäftigten
Anne Kloep, Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Zentralstelle Psychosoziale Unterstützung der Polizei NRW (ZPSU), blickte auf den möglichen Unterstützungsbedarf, der aus Belastungen im Polizeidienst resultieren könne. Polizeibeschäftigte seien aufgrund ihrer Tätigkeit eine Risikogruppe für die Entwicklung psychischer Erkrankungen, wie Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung, erklärte sie. Einer internationalen Metaanalyse zufolge sei die Prävalenz psychischer Erkrankungen in dieser Berufsgruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung teilweise um ein Vielfaches höher. Die Punktprävalenz für eine posttraumatische Belastungsstörung beispielsweise werde bei Polizeibeschäftigten weltweit auf über 14 Prozent geschätzt. In der Allgemeinbevölkerung liege sie bei circa 2,4 Prozent.
Beamtinnen und Beamte mit Unterstützungsbedarf erlebe sie in der Zusammenarbeit sehr konstruktiv, fuhr Anne Kloep fort. Sie würden sich durch eine hohe Resilienz und Reflexionsfähigkeit auszeichnen, über gute Ressourcen verfügen und eine große Veränderungsmotivation mitbringen. Erreiche das polizeiinterne Unterstützungssystem beim Übergang zu psychischen Erkrankungen Grenzen, sei eine Brücke zu externen Maßnahmen wie Psychotherapie wichtig. Hindernisse auf dem Weg dorthin seien unter anderem Vorbehalte seitens der Polizeibeschäftigten, Angebote wie Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Nicht selten würden hierbei Unsicherheiten im Hinblick auf Karriereoptionen eine Rolle spielen. Darüber hinaus seien die teilweise langen Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz problematisch.
Interne Hilfsstrukturen in der Polizeiorganisation
Dr. Ann-Kathrin Bröckelmann, Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der ZPSU, stellte die landesweit verfügbaren polizeiinternen Beratungs- und Unterstützungsangebote der Polizei NRW - zusammengefasst im „Helfernetzwerk Polizei NRW“ - vor. Den Polizeibeschäftigten stünden unterschiedliche psychosoziale Unterstützungsangebote zur Verfügung, darunter das Psychosoziale Unterstützungsteam der Polizei NRW (PSU Team), die Polizeiseelsorge, der Polizeiärztliche Dienst (PÄD), die Sozialen Ansprechpartner (SAP) und die psychologische Beratung in der Zentralstelle sowie in den Regionalstellen Psychosoziale Unterstützung (ZPSU/RPSU). Darüber hinaus bestünden spezielle Angebote für Führungskräfte, zur Alltagsreflexion, nach Dienstunfall (durch sog. Dienstunfalllotsen) und im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung durch das behördliche Eingliederungsmanagement (BEM). Das übergeordnete Ziel sei, psychischen Beeinträchtigungen durch den Polizeidienst präventiv entgegenzutreten, erklärte sie. Die ZPSU biete hierfür beispielsweise Beratung und Unterstützungsmaßnahmen wie Supervision, psychosoziale Einsatznachbereitung und Psychoedukation an. Bei entsprechendem Bedarf würden die Anlaufstellen im Helfernetzwerk auch in die externe Versorgung vermitteln oder bei der Überbrückung von Wartezeiten helfen.
Angebote und Funktionen des polizeiärztlichen Dienstes
Dr. Jan-Hinrich Hilpert, Leitender Regierungsmedizinaldirektor und Polizeiarzt des Polizeipräsidiums Bielefeld, ging auf Funktionen und Aufgaben des Polizeiärztlichen Dienstes PÄD in NRW ein. Der PÄD habe eine Lotsenfunktion an den Schnittstellen von Medizin und Berufsfeldern innerhalb der Polizei. Als betriebsärztlicher Dienst mit 24 Dienststellen sei er für alle Beschäftigten der Polizei NRW eine Anlaufstelle bei körperlichen und seelischen Gesundheitsproblemen. Eine zweite große Aufgabe sei das Begutachtungswesen. Die Bandbreite reiche von der gesundheitlichen Eignungsprüfung bei Anwärterinnen und Anwärtern für den Polizeidienst über Gutachten zur Diensttauglichkeit von aktiven Polizeibeschäftigten bis zu Aspekten der Widereingliederung und Teilhabe nach Krankheit oder bei Behinderung. Eine dritte Aufgabe sei die Einsatzmedizin, informierte Dr. Jan-Hinrich Hilpert.
Wege in die Psychotherapie für Polizeibeschäftigte
Miriam van de Sand, Regierungspharmaziedirektorin und Leiterin Freie Heilfürsorge beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste der Polizei NRW (LZPD NRW), erläuterte den Anspruch von Polizeibeschäftigten in NRW auf Freie Heilfürsorge. Der in der Verordnung über die Freie Heilfürsorge der Polizei (Polizei-Heilfürsorgeverordnung – FHVOPol) festgelegte Leistungsumfang sei an die gesetzliche Krankenversicherung angelehnt. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Kassensitz könnten Polizeibeschäftigte nach der Psychotherapie-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) behandeln und mit der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen, beschrieb Miriam van de Sand. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ohne Kassensitz müssten zunächst einen Kostenübernahme-Antrag stellen. Dies gelte bereits für probatorische Sitzungen. Der Antrag werde vom Polizeiärztlichen Dienst und dessen Fachaufsicht geprüft. Die Anforderungen an die Antragsstellung glichen dabei dem üblichen Procedere bei Anträgen auf Kostenerstattung für gesetzlich Krankenversicherte gem. § 13 Abs. 3 SGB V. Frau Sand betonte in ihrem Vortrag und in der anschließenden Diskussion zudem, dass es ein wichtiges Anliegen der Freien Heilfürsorge sei, Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte rasch einer notwendigen Behandlung zuführen zu können.
Christian Löchteken, Ministerialrat und Leitender Polizeiarzt des Landes NRW, vertiefte häufig auftretende Fragen zu administrativen Abläufen im Rahmen der Heilfürsorgegewährung und zu Konsequenzen der Inanspruchnahme von Psychotherapie für PVB.
Viele Beschäftigte der Polizei seien in Sorge, den hohen an sie gestellten Anforderungen irgendwann möglicherweise nicht mehr zu genügen. Komme die Frage nach ihrer Dienstfähigkeit im Zusammenhang mit psychischen Problemen auf, sei dies entsprechend belastend. Zu einer Prüfung komme es jedoch ausschließlich anlassbezogen im Falle von Auffälligkeiten oder längeren Krankheitszeiten. Der Polizeiärztliche Dienst unterliege dabei der Schweigepflicht und Daten über administrative Abläufe im Rahmen der Heilfürsorgegewährung hinaus dürften nur mit Einwilligung der Beamtinnen und Beamten weitergeben werden. Grundsätzlich sei es wichtig, dass sich PVB rechtzeitig Hilfe holen würden, unterstrich Christian Löchteken. Eine Dienstunfähigkeit hänge nicht mit der Inanspruchnahme psychosozialer oder psychotherapeutischer Unterstützung zusammen, sondern könne eintreten, wenn Beschwerden unbehandelt blieben.
Diskussion und Ausblick
In einer Diskussionsrunde tauschten sich Teilnehmende, Referentinnen und Referenten zu weiteren Fragen aus. Hervorgehoben wurde, dass Hilfen bei psychischen Belastungen frühzeitig ansetzen müssten. Markus Henkel bekräftigte das Anliegen der Polizei NRW, rechtzeitig gute Lösungswege für Beschäftigte mit entsprechendem Unterstützungsbedarf zu finden – von ersten Anzeichen psychischer Belastung bis hin zur Wiedereingliederung. Dafür bräuchte es auch den Schulterschluss mit Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
Julia Leithäuser dankte abschließend den Referentinnen und den Referenten für die umfangreichen Informationen. Für die psychotherapeutische Arbeit mit PVB sei es wichtig, mehr über ihre Hintergründe und die Besonderheiten der Polizeiarbeit zu wissen. Es sei wünschenswert, den mit der gemeinsamen Veranstaltung gelungenen Auftakt für einen Austausch zu den besprochenen Themen fortzuführen.